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13 Beiträge zur Memminger Geschichte - eine Intervention

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In diesem Haus forschte von 1905 bis 1934 Jan Samuel Stern.
Er war einer der bekanntesten und einflussreichsten Schwaben-Historiker
und machte dabei für das Verständnis der Schwaben fundamentale Entdeckungen


Der 1873 in Hamburg geborene Jan Samuel Stern zog nach seinem Studium frisch verheiratet im Frühjahr 1905 nach Memmingen, um näher am Zentrum seines Forschungsgegenstandes, den Schwaben, zu sein. J. S. Stern entdeckte bei seinem Studium der Volkskunde, dass die Schwaben ein bis dato kaum untersuchtes, aber hoch interessantes Volk Deutschlands sind.
Zu seinen bedeutendsten Entdeckungen gehört der Nachweis, dass die Legende von den Sieben Schwaben auf einen alten keltischen Ur-Mythos zurückgeht. J. S. Stern beschreibt die Entwicklungsgeschichte dieser Identitätssage von ihrem Ursprung bis zur heutigen Verballhornung. Er zeigt auf, dass es den vielen Anti-Schwaben trotz aller Versuche nicht gelungen ist, die sieben Probanden der Tölpelhaftigkeit zu überführen, sie der Lächerlichkeit auszusetzen und negativ zu besetzen.

Eine kurze Zusammenfassung seiner Forschungen kann folgendermaßen geschrieben werden:
Die Sieben Schwaben, die Unbeholfenen, die auf Abenteuer aus sind und doch nur Hasen mit Drachen verwechseln, diese tollpatschigen Angsthasen werden paradoxerweise nicht abgelehnt und verachtet, sie werden von allen beneidet, sie stehen symbolisch für das clevere Schwabenlande. Wie kann es einhergehen, dass aus einer lächerlichen Darstellung eine positive Figur entsteht? Welche Stärke muss in den Ursprungsfiguren liegen, dass sie jeglicher Verächtlichmachung widerstehen?

Die Legende der Sieben Schwaben basiert auf einer alten keltischen Ur-Sage der Hallstatt-Kultur ( 800 - 500 v. Ch.). Sie besagt, dass die sieben Voralpenstämme aus dem heutigen Bayern, Baden-Württemberg und der Schweiz, die Noriker, die Tiguriner und Toygener, der Stamm der Vindeliker wie der Boier und Gauen mit den Likater und Helvetier zusammen unbezwingbar seien. Alle zusammen sollten sich um einen Spieß versammeln, denn einzeln seien sie zu schwach, zusammen aber unbesiegbar. Auf den wenigen erhaltenen Zeichnungen aus dieser Zeit erkennt man immer wieder Personen beiderlei Geschlechts, die zusammen einen Stab tragen. Eine immer wiederkehrende Ritzung auf Funden der Mittleren und Späten Eisenzeit ist ein langer Strich, der von sieben kurzen, quer laufenden Strichen gekreuzt wird: oder . Diese Ritzungen finden sich während der Hall-Zeit im gesamten Siedlungsgebiet der Kelten.

Die später aus dem Süden einfallenden Römer hatten größte Schwierigkeiten mit diesem Landstrich nördlich der Alpen. Publius Cornelius Tacitus, der römische Chronist, berichtet beeindruckt in seinem „Germaniae“ von den Völkern hinter den Alpen, beschreibt die dortigen Krieger als besonders widerstandsfähig und berichtet über eine besondere Kampfart. Mehrere Kämpfer scharen sich um einen großen Stab, den sie gemeinsam führen. Diese Kampfmethode, die hinderlich aussehe, sei enorm effektiv und führe zu schweren Verlusten beim Feinde, sodass das Römische Heer auch schon Übungen mit dieser Kampfform praktiziere.

Wie alle kriegerischen Besatzer eines Landes entwickelten die Römer auch eine psychologische Kriegsführung, um die Moral des Feindes, in diesem Fall die der Kelten zu brechen und die der eigenen Truppen zu stärken. So schrieben die Römer den Keltenmythos um und machten daraus sieben lächerliche Figuren, die vor Hasen Angst haben, vor Hasen wegrennen und beschrieben die Kelten als Hasenfüße. Sie diffamierten die Kelten, entehrten sie und gegen ein sich unsichtbar verbreitendes Gerücht können selbst Sieben an einem Spieß wenig ausrichten.

Nachweislich tritt diese Hasengeschichte erstmals in einem in lateinischer Sprache abgefassten Schriftstück über Süddeutschland auf. Die erste deutsche Fassung stammt von Hans Sachs aus Nürnberg. Er schrieb ein Meisterlied über die Sieben Schwaben, von denen der Memminger Küfermeister und Sänger Joseph Kärner ihm berichtet hatte (siehe Tafel 2 ).

Später nahmen die Gebrüder Grimm „Die Sieben Schwaben“ in ihre Sammlung Deutscher Märchen auf ebenso Ludwig Bechstein. Ludwig Aurbachers machte die Sieben in seinem „Volksbüchlein“ deutschlandweit berühmt. Die ursprüngliche keltische Mythologie wurde erst wieder durch die Forschungen von Jan Samuel Stern entdeckt.

Jan Samuel Stern wanderte 1934 mit seiner Familie zwangsmäßig nach Australien aus und kehrte nie mehr nach Deutschland zurück. Als 75-jähriger ging er 1948 nach Japan und wurde Berater des bekannten Filmemachers Akira Kurosawa. In dessen zum Filmklassiker gewordenen Film von 1954 „Die Sieben Samurai“ beruft dieser sich ausdrücklich auf den ursprünglichen keltischen Mythos: „…Die Idee meines Filmes basiert auf einer alten keltischen Erzählung, die Herr Stern mir ausführlich erzählt hat…“.
1961 starb Jan Samuel Stern in Kyoto. Auf seinem dem japanischen Stil entsprechenden hölzernen Grabmal ist eine Lack-Tusche-Zeichnung mit einer Hellebarde und den Sieben Schwaben zu sehen..

Literatur:
A. Demandt, Die Kelten München, 2005.
A. Krause, Die Welt der Kelten. Geschichte und Mythos eines rätselhaften Volkes, Frankfurt a.M. 2004.
H. Tiller, Sieben an einem Strang. Vom Mythos zum Märchen, Heidelberg 1990.
J. S. Stern, Sieben Stämme, München 1923.
J.S. Stern, Der Untertext eines Märchens, München 1927.