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13 Beiträge zur Memminger Geschichte - eine Intervention

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Der Memminger Küfermeister Christoph Wilhelm Rescht
verließ 1568 dieses sein Haus,
um im Auftrage des Großzunftmeisters Deutschland singend
zu bereisen
und um später über die neuen Meistersinger zu berichten


In der ersten Hälfte des 16.Jahrhunderts setzte sich die Reformation in vielen Freien Reichsstädten durch. Die freien Handelsstädte plädierten überwiegend für die neue Zeit, in der das Bürgertum Entscheidungen mittragen und beeinflussen konnte und in der die klerikale Vormundschaft entfiel.
Memmingen war eine der ersten deutschen Reichsstädte, in der sich die Bürgerschaft den neuen Gedanken der Selbstbestimmung anschloss.

In seiner Weihnachtspredigt 1525 provozierte der glühende Reformator Christoph Schappler (1472 -1551) die Bürgerschaft der Stadt, sich endlich zu entscheiden zwischen der neuen Lehre oder dem überkommenen Alten. Am 2. 1. 1526 war es dann so weit, die Bürger der Stadt wurden aufgefordert, im Rathaus einem Redestreit zwischen dem Vertreter des Katholischen und des Herrn Schappler zuzuhören und dann abzustimmen und zu entscheiden, mit welcher Lehre die Stadt in Zukunft leben möchte. Die Stadt entschied sich mit überwältigender Mehrheit für die neue reformierte Lehre

Christoph Schappler wurde bei seinen Predigten von dem um 14 Jahre jüngeren Jakob Rescht (1487- 1551) assistiert. Jakob Rescht, ein Küfermeister, der eine Fassbinderei betrieb, ehelichte 1528 die Patriziertochter Kornelia Karrerer, die ihm nach acht Monaten einen gesunden Buben schenkte, den sie Christoph Wilhelm nannten.

Der musikbegeisterte Laienprediger, gute Sänger und Küfermeister Wilhelm Rescht (1528 – 1611) war die ideale Person, um im Auftrag der Großzunft auf eine beschwerliche Reise geschickt zu werden und in anderen Städten das neue Singen, von dem man viel hörte, zu studieren. Die Reformierten hatten das Problem, dass sie Lieder sangen, die nicht ihrem neuen Glauben entsprachen, Lieder mit Texten, die sie aus tiefem Herzen ablehnten.

In dieser Zeit fanden sich, in der Nachfolge des ritterlichen Minnegesangs, in den reformierten Städten Süd- und Südwestdeutschlands Handwerksmeister zusammen, um einen neuen Gesang zu praktizieren, um neue, zeitgemäße Texte zu schreiben und neue Melodien auszuprobieren. Es wurden Sangeswettstreite ausgeschrieben, Liedertreffen organisiert und Regeln und Vorschriften entworfen, um dem Meistersang einen festen Rahmen zu geben. Diese Meistersinger repräsentierten den neuen Glauben, das klare Handwerk, die Macht der Städte, sie waren Ausdruck der neuen Zeit.

So wurde W. Resch 1568 mit diversen Empfehlungsschreiben auf den Weg geschickt, um in den deutschen Ländern Lieder zu finden, die dem neuen Glauben angebracht waren und um zu erfahren, was es mit den überall neu entstandenen Meistersingern auf sich habe.
Seine Reise ging über Ulm und Feiburg nach Mainz, der Stadt mit den ältesten Meistersingern, er besuchte Köln, Frankfurt am Main, kam nach Nürnberg und besprach sich mit dem Schustermeister Hans Sachs (1494–1576), traf sich aber auch mit dem strengen, pedantischen Sänger Sixtus Beckmesser.

Hans Sachs war ganz angetan von den Gesprächen mit Christoph W. Rescht. In einer noch nicht aufgefundenen Notation widmete er Ch. W. Rescht ein eigenes Meisterlied.
Rescht erzählte Sachs viel von schwäbischen Märchen und Hans Sachs vertonte eine Geschichte. Dieses erhalten gebliebene Lied ist die erste deutsche Fassung der Geschichten über törichte Abenteuer von sieben Schwaben (siehe Tafel.......).

Überall auf seinen Reisen stieß Ch. W. Rescht auf das Problem der Legitimation. Er berichtet in seinem 1574 erschienenen „Reisebericht über die Gebräuche und Sitten der Singenden Meister zu den Deutschen Ländern“, dass viele den Empfehlungsschreiben nicht mehr glauben wollten, da viele gefälschte, gestohlene und erschlichene im Umlauf seien, dass die unruhige Zeit immer mehr Verrohungen und Verderbtheiten hervorbringen würde.
Er regt in seinem Buch an, in Empfehlungsschreiben genaueste Angaben zu der Person zu machen, deren Größe anzugeben, die Augenfarbe, die Länge der Nase, aber auch Besonderheiten wie Narben oder fehlende Glieder. Mit solchen Angaben könnte man dann die Person genau identifizieren. Man sollte auch an ein Abbild der Person denken, ähnlich der Präsent-Porträts (siehe Tafel 3.).

Erst fünf Jahre nach dem Tode Christoph Wilhelm Reschts 1620 war es so weit: Die Meister von Memmingen fingen an zu singen. Die Memminger Meistersinger eroberten sich schnell eine besondere Stellung unter den Meistersingern, sie sangen nur die modernsten Lieder und komponierten die modernsten Melodien. In Nürnberg, dem Zentrum des neuen Gesangs, nahm man sie aufmerksam wahr, lehnte sie aber als zu modern und unpraktisch ab, besonders weil sie nicht im Dialekt sangen, sondern nach der von Luther eingeführten neuhochdeutschen Schriftsprache.

So sangen sich die Memminger Meistersänger durch die Jahrhunderte bis sie sich als die letzten aller deutschen Meistersinger 1880 auflösten. Fünf Jahre zuvor wurde das jüngste Mitglied, Friedrich Hummel, noch aufgenommen. Er verstarb 1922 als der letzte deutsche Meistersinger von Deutschland.

Literatur:
K. Drescher, Nürnberger Meistersinger-Protokolle, Nürnberg 1963.
G. Dietrich, Die Meistersinger von Memmingen, In: Literatur in Bayern, München 1991.