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13 Marburger Treppen Tafeln

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Der Herzschlag als Währung


Wenn das hier nur eine Stadt wäre! Aber es ist ja ein mittelalterlíches Märchen, das die Herzen schneller schlagen lässt."
schreibt der Literaturnobelpreisträger Boris Pasternak über Marburg


Boris Pasternak (1890-l960), der große russische Schriftsteller studierte als junger Mann 1912-1914 in Marburg Philosophie. Boris Pasternak, von vielen als ein zeitvergessener Mensch beschrieben, eilte oft diese Treppe empor, um nicht allzu verspätet in Vorlesungen zu kommen. In Briefen an seine Schwestern berichtet er, wie er immer wieder durch die enge Gasse hetzte und mit schnell schlagendem Heizen, „mein Herz rast meinen Schritten voraus", in Vorlesungen ankam. „Alle drehten sich um, als ich wieder zu spät den Raum betrat und mein viel zu schnell und laut schlagendes Herz hörten“.

Als Pasternak nach der Russischen Revolution einer Gruppe der Futuristen um Wladimir Majakowski angehörte, begegnete er dem Schriftsteller Velimir Chlebnikov. Dieser wollte mehr als die meisten Futuristen, die die Sonne und die Sterne dem Firmament entringen wollten: „Wir entreißen dem Firmament die Sterne“, „Wir holen die Sonne auf die Erde“. Er wollte das Firmament zur allgemeinen Währung erheben. Die Berichte aus Marburg, die Chlebnikov von Boris Pasternak erhielt, ließen in ihm eine Theorie des Herzschlags entstehen, in der der Herzschlag der Verausgabung des Menschen entsprach und als neue, einzige Währung „die Währung des Herzens, des Herzschlages" eingeführt werden sollte.

Pasternak und Chlebnikov diskutierten immer wieder die weitreichenden Funktionen und vielfältigen Bedeutungen des Herzschlags. In dem einzigen Roman Pasternaks, „Doktor Wiwago“ (1956; übersetzt 1958 als Doktor Schiwago), lässt er seinen Protagonisten immer wieder über den Herzschlag reden wie auch über die Theorie einer Währung des Herzschlags.

Die Verantwortlichen der Russischen Revolution ließen sich jedoch nicht dazu verführen, den Herzschlag als Währung einzuführen, so dass bis heute der Rubel alle Verirrungen der Zeit überstanden hat.


Literatur:

Velimir Chlebnikov, Werke. Poesie - Prosa - Schriften - Briefe. Hrsg. von Peter Urban, Reinbek 1985.
Gundar Michel, Formen des Geldes, Hamburg 1983.
Boris Pasternak, Über mich selbst. Autobiographie, Reinbek 1985.