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Über ein Glasobjekt von Sabine Müller-Funk
oder
Die gesprächige Himmelsleiter


Glas und Blei, 28x3x0,5 cm


Die Himmelsleiter bekam ich vor circa 20 Jahren von Sabine Müller-Funk, der Anlass ist mir nicht mehr in Erinnerung, ich bin mir auch unsicher, ob Sabine Müller-Funk dies schöne Kunstkleinod überhaupt Himmelsleiter nannte, bei mir war es vom ersten Blick an: Die, meine Himmelsleiter.
Es ist hier das erste Mal, dass ich von meiner, von dieser Himmelsleiter erzähle, die Himmelsleiter ist mir immer wieder behilflich, meinen Platz zu finden.
Diese Himmelsleiter ist eine Zusammenfügung von Getrenntem. 49 einzelne Glasplättchen, durch Blei zusammen gehalten, ergeben eine Leiter ähnliche Form, wobei die Schnitte, die Trennungen, als Sprossen erscheinen.
Seitdem die Himmelsleiter zu mir gekommen ist, hängt sie in meinem Arbeitszimmer an der Wand. Wir lächeln uns öfter zu. Als sie eines Tages zu sprechen anfing, wunderte ich mich nicht, das war zu vermuten, das traute ich ihr zu.

Wenn jemand nun meint, ich würde seitdem mit meiner Himmelsleiter himmlische Dialoge führen hat sich geirrt. Meine Himmelsleiter betont mit Nachdruck, dass sie keine Himmelsleiter sei, dass sie mit dem Himmel nichts zu tun hätte, mit dem Höheren, dass sie lieber auf dem Boden stehe, ziemlich fest verankert und ihre Spitze lege sie nicht an den instabilen fragilen Himmelsrand an. Es sei sowieso nicht leitermäßig, bis in den Himmel zu reichen, vielmehr wären es menschliche Wünsche, in den Himmel zu kommen, keine leiterischen.
Ich meinte natürlich, als ich das erste Mal verstand, dass ich mit meiner Himmelsleiter sprechen konnte, nun einen klugen Diskurs über die Jakobsleiter mit ihr führen zu müssen, über die Leiter in der Kunst, über deren Symbolik, über den Leitersturz, natürlich auch über Dädalus und Ikarus, doch sie, meine Himmelsleiter, lächelte mich in einer so ernüchternden Art und Weise an, dass es einem Ausgelachtsein gleich kam. Da ich mit den klugen Themen bei ihr nicht ankam, versuchte ich es mit „Stairway to Heaven“ von Led Zeppelin, Otto Zemeliks „Oh Himmelsleiter“ , mit Berg- und Klettersteigen, aber auch da keine Reaktion, außer diesem herablassenden Lächeln.

Eines Tages erzählte mir meine Himmelsleiter von einen Buch mit dem Titel „Diplom Freie Kunst“ der Künstlerin Nina Heinzel, in der sie, Nina Heinzel, das künstlerische Schaffen mit dem Flug von Albatrossen vergleicht. Nina Heinzel schildert die Qual der Albatrosse, den ständigen Abbrüchen von Startanläufen, von Neuanfängen, Abstürzen, von den schier endlosen verzweifelten Versuchen, in die Luft zu kommen. Wie schmerzhaft es sei, aber auch überaus nervig, dieser Selbstmarter beizuwohnen.
Dies alles nur, um, wenn sie es in die Luft, zum Flug, geschafft haben, mit bis zu 4 Metern Flügelspannweite den bewundertsten Flug der ganzen Vogelwelt vorzuführen. Dabei würden sie von ihrer Umwelt getragen. Der Albatross, ein eher kraftloser Vogel, würde geschickt jede noch so leise Thermik ausnützen, um so lange wie möglich im Flug zu bleiben, zu brillieren.
Das dicke Ende kommt, die Landung. Diese ist noch viel furchtbarer, grausamer als das Starten, ein einziges Schlingern, Purzeln, Schrammen, und nicht selten brechen sie sich dabei die Knochen.
Das war ein schroffer Spiegel, den meine Himmelsleiter mir vor die Nase hielt, welch Kunstschaffender kenne dies albatrossische Gefühl nicht?

Als ich zu bedenken gab, dass jede künstlerische Tätigkeit doch der Illusion, der Hoffnung des Abhebens bedarf, dass es ohne dieses Bestreben keine Kunst geben würde, dass der Albatross nach dem unglücklichen Landen sich ja auch mit der größten Zuversicht an den nächsten lächerlichen Start machen würde.

Meine Himmelsleiter meinte nun, sie wolle mir meine Hoffnungen und Träume nicht wegnehmen, sie wüsste auch nicht, wohin sie die denn stecken solle und sie erzählte mir nun von einem Daumenkuppen großen, aus Elfenbein geschnitzten Totenkopf, der im 18./19. Jahrhundert sehr verbreitet war und den Besitzer daran erinnern sollte, dass sein Streben nach Ruhm, Anerkennung, Ehre, Reichtum, seine Rechthaberei, seine ganze Hybris angesichts des Todes, da nun mal das letzte Hemd keine Taschen hätte, bedeutungslos sei. Dieses Memento Mori sei kein romantischer Todeskult, kein himmlisches Streben, der kleine Totenschädel solle nur daran erinnern, dass zwar alle in den Himmel wollten, doch jeder kommt nur unter den Boden. Heute würde in Auktionshäusern diese kleine Erinnerung große Preise erringen.

Eines Tages fragte ich meine Himmelsleiter, ob sie etwas dagegen hätte, dass ich sie ständig Himmelsleiter nenne, wo sie doch gegen jeglichen Himmel eingestellt sei.
Es wäre schon recht, meinte sie, ihre Benennung würde sie mir überlassen. Außerdem würde sie schon auch einen Himmel anerkennen, das sei der Theaterhimmel.

Als Leiter würde sie von der Unterbühne bis zum Theaterhimmel reichen. Auf der Unterbühne, mit ihren Versenkungseinrichtungen, der ganzen Untermaschinerie, dort, wo die ganzen Antriebskräfte versammelt sind, schaurig und dunkel sei dieser Ort des „Dämonen der Grube“, dort stehe sie mit ihrem unteren Ende, den Leiterbeinen, und das obere Ende sei an dem Schnürboden angelehnt, am streng geordneten, hell beleuchteten Theaterhimmel, wo an nummerierten Seilen die Kulissen hängen, die schwebenden Requisiten wie von Geisterhand herabgelassen werden, wo alles leicht und luftig erscheint. Das alles, das Unten wie das Oben nur, um den Schauspielern auf ihrer Bühne in ihrem Bemühen behilflich zu sein, ihre Illusionskraft voll zur Geltung zu bringen.

Es gibt noch viele Geschichten, die mir meine Himmelsleiter erzählte, über die Leitern der Kirschenernte, über den Feuerwehrtaucher, der die Worte sucht, die jeder versteht, von dem Analytiker, der sich den Sessel von Freud nachschreinern ließ, nur um festzustellen, dass er ihm nicht passt oder von der Leiter, die ihre Sprossen gegen Ruhm eintauschte, von weggeworfenen Traktat-Leitern, von noch viel verwunderlicheren Sachen erzählte meine Himmelsleiter. An anderer Stelle werde ich wieder von meiner plappernden Himmelsleiter berichten, mein hier mir zugestandener Platz ist schon überzogen.