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Schulpforta und Bad Kösen


Gleich hinter Naumburg, Schulpforta. Ein ehemaliges Zisterzienser Kloster aus dem Jahre 1137, seit 1543 bis heute ein Landesgymnasium, ein Internat für Hochbegabte, eine Elitenschule.
Ich radle durch das Gelände, radle an reihenweise Schilder, wer hier alles schon Schüler war, vorbei, es liest sich wie das männliche Who's who der Deutschen Geistesgeschichte: Schlegel, Fichte, Möbius, Lepsius, Goethes Enkel, Groddeck, Nietzsche, Klopstock und und und. Mein Problem ist, dass jeder dieser Herrn auf mich einredet, meine Aufmerksam haben möchte, fragt, ob ich ihn gelesen habe, wie ich ihn finde? Ich trau mich nicht zu sagen, dass ich nur wenige und manche gar nicht gelesen habe. Jeder der Herren versucht mir einzureden, dass er die wichtigste Person sei, die anderen taugen nichts, das seien Schwätzer, nur er gilt. Alle reden durcheinander, immer lauter, jeder versucht den anderen an Wichtigkeit zu übertrumpfen, er hätte den größeren Einfluss gehabt, nur er sei nicht wegzudenken aus der Deutschen Geschichte, alle streiten immer wirrer in meinem Kopf um meine Gunst. Es schwirrt und dröhnt. Mich nervt es, sie sollen mich in Ruhe lassen, ich fahre weiter, steige nicht vom Fahrrad, fahre schneller nur weg von hier, weg, weg, weg von diesen aufdringlichen alten Herrn, nur weg.
In meiner Panik fahre ich falsch, einen Feldweg, die Herrn schreien mir hinterher, ich fahre über eine Wiese, komme zum Wasser, zur Saale, das Rauschen eines Wehr's übertönt die lauten Reden in meinem Ohr, ich bin gerettet.

Nun, nebenan, in Sichtweite von Schulpforta: Bad Kösen.
Eine Samba Gruppe, die ich ständig höre, aber nie zu sehen bekomme, spielt am Bahnhof, holen sie jemanden ab? Den „Salzmeister“ José Schmitz, der wie nun schon seit 3 Jahren, zu den historischen Bad Kösener „Fest des weisen Goldes“, in der ersten Septemberwoche kommt?

José Schmitz wird symbolisch die Solequellen überprüfen, das Gradierwerk inspizieren und anschießend einen mündlichen Bericht abgeben. Am Abend wird es ein Tanzfest geben, mit „Salz(s)a Tänzen“ in der Festhalle. Wird dort die Samba Gruppe wieder spielen? José Schmitz, seine Wurzeln sind in Brasilien, wie in Deutschland, ist in der 8. Generation „Salzmeister“.
Bereits 1758 taucht der Name Schmitz in einer geheimem Salzakte des Kurfürstentum Sachsen auf. Vier Jahre später gibt es ein Untersuchungsverfahren gegen einen Reinhard-Karl Schmitz, das eingestellt wurde, weil er das Land verlassen hatte. Nach neuesten Erkenntnissen des Historiker Rainer Klieser (Berlin), war Reinhard-Karl Schmitz, als sächsischer Kontrolleur zur Überprüfung der Salzgewinnung im Fürstentum tätig. Heute würde man seinen Arbeit als „Qualitätsmanagement“ bezeichnen. Bei einer Routinekontrolle in Kösen stieß er auf einen tödlichen Unfall in einem Soleschacht. Er wies gravierenden Mängel bei der Sicherheit der Schachtanlagen nach. Ihm wurde, von obersten Stelle verboten den Fall weiter zu verfolgen. Sein Gewissen ließ nicht locker und verlangte Aufklärung. Bei einer Befragung der Bevölkerung erfuhr er, dass es fünf weitere solche Todesfälle gab. Er wurde wegen „Geheimbündelei“ und „unerlaubter Fragerei“ denunziert und verhaftet. In einem Geheimprozess, 1762, wurde er, zu unbefristeter Kerkerhaft verurteilt. Ein geheimes Zusatzprotokoll versicherte ihm, dass ihm, auf Grund seiner bisherigen Verdienste, bei einer Auswanderung in die Neue Welt, der Kerker erspart bliebe.
Anfang 1763 wanderte Reinhard-Karl Schmitz mit Frau und drei Kinder nach Südamerika aus. In Rio de Janeiro, der Hauptstadt der Portugiesischen Kolonie, war er zuständig für Versorgung der Stadt mit dem lebensnotwendigen Salz.
100 Jahre, später, 1863, beteilige sich der Urenkel von Reinhard-Karl Schmitz, Pedro Schmitz maßgeblich bei der Befreiung von über 200 Sklaven und wurde in Abwesenheit zum Tode verurteilt, sowie ein hohes Kopfgeld auf ihn festgelegt. 1865 gelang Pedro Schmitz die Flucht nach Deutschland. Hier arbeitete er bei der Gewinnung des Speisesalz aus Salzstöcken. Sein Enkel Adolf Schmitz, wurde 1921 Oberkaliingenieur im Kaliwerk „Sigmundshall“. 1933 wurde er als aktiver Sozialdemokrat und bekennender Anti Nazi, von der Gestapo verhaftet. Aus der Haft entlassen, floh er 1934 mit seiner jüdischen Frau und 2 Kindern nach Brasilien. Sein in Brasilien geborener Sohn Antônio Schmitz floh wiederum 1974 vor der Verfolgung der Militär Diktatur. Er konnte inzwischen zwischen zwei Deutschlands wählen. Er entschied sich mit seiner brasilianischen Frau Maria Vitória, für Deutschland Ost. Beiden wurde im Kaliwerk Bischofferode eine Arbeit zugewiesen. 1979 wurde ihr Sohn José Schmitz in Leipzig geboren, der heutige Salzmeister von Bad Kösen.
2012 suchte die „Regionale Entwicklungs-GmbH Mitte-Saale“ nach einem historischem Event-Anlaß und erfand für Bad Kösen, das „Fest des weisen Goldes“ und dazu die Biografie eines José Schmitz. Sie engagierten José Cardoso, einen Schauspieler aus Berlin der nun jeden September die Rolle des Salzmeisters, José Schmitz übernimmt. Dieses Jahr hat sich das erste Mal ein Fernsehteam angesagt um über das Fast zu berichten. Die Erfahrungen an andern Orten zeiges, dass es bis zu 5-7 Jahre dauert, dass sich ein neues historisches, oder historisch neues, Fest angenommen wird, sich etabliert und als authéntisch angenommen wird.

So lange habe ich nicht mehr Zeit, ich sehe die Samba Gruppe immer noch nicht, radle weiter, die Musik wird immer leiser.

 

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