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Von Romantiker

Aufstehen in Sachsen-Anhalt: „Das Land der Frühaufsteher“, an diesen Werbeslogan, den sich das Land zulegte, muss ich denken als ich zum Frühstück gehe. Ich war der Letzte.
In der Fahrradwerkstatt des Hotels, welch ein Service, ziehe ich Schrauben am Sattel nach, pumpte Luft nach und fahre an der Saale weiter. Die Frau an der Rezeption, verabschiedet mich, mit einem „Bleiben sie gesund“ und wieder irritiert es mich. Der Spruch impliziert eine wahrgenommene Krankheit, die nicht eintreten soll. Wie sehe ich aus, was ist mit mir, droht Krankheit, Schwäche?

Nun, an der Saale, erlebe ich wieder das schöne Deutschland, den Reichtum der Kultur, den Luxus den sich das Land leisten kann. Die großzügigen Fahrradwege, gut beschildert, gepflegt, hergerichtet, heraus geputzt. Und wieder verstehe ich die Jammernden und Beleidigten nicht? Warum muss das Land, mit solchem rechten Abscheu in Grund und Boden verdammt werden, mit blindem Hass überzogen, diesen typischen Hass des Verzagten, des sich zu kurz gekommen Fühlenden, doch wovon sind sie denn so beleidigt? Ich verstehe das immer weniger, je mehr ich durch das schöne fremde Land hier fahre. Ich will an diesen rechten Hass auf Deutschland nicht mehr denken, will das aus meinen Gedanken verbannen. Warum belastet mich das so?
Lieber denke ich mir, dass ich, wenn ich vor einhundertfünfzig Jahren hier geradelt wäre, schon 4 oder 5 Fürstentümer durchradelt hätte, jedes Fürstentum hätte eifersüchtig auf seine Privilegien geachtet, „Anhalt zum zuerst“, „Preußen zum Vorteil“, „Sachsen vorab“. Die Menschen des einen Fürstentums hätten die vom anderen als Ausländer begriffen. Die Fremden waren, die aus dem nächsten Dorf. Das Andere wurden als minderwertig bezeichnet, wie heute sehr oft wieder.

Zum Glück haben die Romantiker, bei und mit denen ich hier unterwegs bin, in deren Märchen und Lieder ich fahre, denen ich an allen Ecken und Kurven begegne, die Idee gehabt diese Grenzen zu überwindenden, aufzulösen. Sie hatten den Traum eines geeinten Deutschlands.
Sie erklärten die hier regional angesiedelten Erzählungen, Legenden, Märchen, als gesamtdeutsch. Sie ignorierten einfach die fürstlichen Grenzen, und dachten sich das Undenkbare, ein Deutschland ohne Grenzen. Durch dieses Vordenken konnten später die vielen Einzelfürstentümer, ihre Einzelinteressen überwinden und dadurch ein vereintes, stabiles, Deutschland entstehen. Es was zweifelsohne ein schwieriger, komplizierter, schmerzhafter Prozess. Viele Widerstände, Vorurteile, egoistische Interessen mussten überwunden werden. Einige der Vordenker mussten ins Gefängnis, wurden vertrieben, wurden zu Flüchtlingen, wie z.B.die Gebrüder Grimm, eifrige Gegner der Kleinfürstenei, des Kleinkrämertums, sie mussten ins Exil.
Mit dem vereinten deutschen Staat entstand, als bescheuerte Beifang wie sich später herausstellte, auch die blöde Idee eines Nationalismus. In den meisten Ländern Europas breitete er sich in verschiedensten Formen und Auswirkungen, immer mit unguten Folgen aus. In Deutschland mit den Verheerendsten.
Das kam aber erst später, da waren die fortschrittlichen Denker der Überwindung der Kleinstaaterei schon gestorben. Mir kam zu Ohren, dass sie sich regelmäßig in ihren Gräber umdrehten, weil sie das, was oben über ihren Gräber abspielte, und wer sich alles auf die beruft, bescheuert und ziemlich grausam finden. So meinten sie es nicht, mit den Deutschen Volksmärchen, der Vaterländisch Nationalen, der Deutschen Erweckung, der revolutionären Umtriebe, so nicht.
Besonders stark rotieren sie in ihren Gräbern, wenn sich heutige Vaterlands Beschwörer, an ihren Gräbern versammeln. Dann rotieren sie unter der Erde so laut, dass man es regelmäßig oben hört, dann singen die Neopatrioten sehr laut, grölen, um den rotierenden Protest der Romantiker auf deren Gräber sie stehen, zu übertönen. Immer wieder schieben die Verstorbenen von unten, aus ihrem Grab, eine Europa Fahnen hoch, die dann von den Volksnationen zertreten werden. Die Romantiker wären heute allesamt glühenden Europäer. Sie würden für ein vereintes Europa eintreten wie sie für ein vereintes Deutschland eintraten, würden gegen die kleinkarierten nationalen Machtinteressen eintreten.
An der Saale radelnd, werde ich davon überzeugt, dass wir wieder Romantiker brauchen, europäische Romantiker, die die ganzen kleinen nationale Staatsinteressen wegdenken und gemeinsame europäische Geschichten, Erzählungen, Märchen propagieren. Aber, weiter denke ich, brauchen wir wirklich wieder eine Einheit, eine europäische, die wieder nur Fremde erfindet, Ausländer, die die Andren ausgrenzt? Eine Festung Europa? Vielleicht sollten wir von dem Hip Hop, vom Rep, lernen, die überall auf der ganzen Welt zum gleichen Musik, im gleichen Stil, in ihrer eignen Sprache, ihre regionalen, sozialen, Geschlechtsidentitäten, ethnischen Probleme, zur Sprache bringen, zur Diskussion stellen, verhandeln.

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