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Beuys'sche Ur-Hasen
oder
wie Joseph Beuys auf den Hasen kam

 

Joseph Beuys, dieser Granitfelsen der Kunst, beruft sich in seinem riesigen, faszinierenden Werk immer wieder auf den Hasen. Er identifizierte sich mit diesen Tieren so stark, dass er Sätze formulierte wie: "Ich bin kein Mensch, ich bin ein Hase", "Ich bin ein ganz scharfer Hase", "Der Hase bin ich" etc.

Der Hase, ein symbolgeladenes Tier mit alten mythologischen Bedeutungen. Im Germanischen war der Frühling ein Hase, die ägyptische Göttin Unut trägt einen Hasen quer auf dem Kopf, bei den Chinesen und den Azteken ist der Hase das Mondtier, die Tataren sehen in ihm den Schöpfer des Lichtes, das christliche Mittelalter verstand ihn als Sinnbild der Auferstehung Christi, um nur einige Beispiele zu nennen. Joseph Beuys bezeichnete den Hasen als ein "Organ des Menschen", er sah den Hasen als ein "Außenorgan". Beuys geht davon aus, dass der Hase "..direkt eine Beziehung zur Geburt hat...Für mich ist der Hase das Symbol für die Inkarnation. Denn der Hase macht das ganz real, was der Mensch nur in Gedanken kann. Er gräbt sich ein, er gräbt sich eine Mulde. Er inkarniert sich in der Erde, und das allein ist wichtig."

Joseph Beuys´ Werk wird gern auf Filz und Fett reduziert. Dies sind sicher zwei zentrale Materialien, die in seinem Werk eine bedeutende Stelle einnehmen. Dass der Hase jedoch eine gleich große Rolle spielt, wird oft übersehen, obwohl Beuys 1963 bei seiner ersten öffentlichen Aktion "Sibirische Sinfonie" bereits den Hasen als Bezugspunkt, Partner und als zentrale Figur auftreten lässt und zwar aus den gleichen ursächlichen Gründen, aus denen er Filz und Fett verwendet.

Bei seinem Flug 1944 mit der JU 87 wurde er von einer russischen Flak getroffen, konnte sich aber hinter die Frontlinie retten. Dennoch stürzte er aufgrund eines fürchterlichen Schneesturms ab. In "einer völligen Einöde oben am Flaschenrand der Krim" fanden den schwerverletzten und ohnmächtigen Mann dort wohnende Tataren. Die Familie Khairetdinov pflegte den meist in tiefer Ohnmacht Liegenden, sie rieben seinen mit Wunden übersäten, verletzten Körper mit tierischen Fetten ein, wickelten den geschundenen Körper in Filzdecken und stellten brennende Kerzen an seine Lagerstatt, sogenannte Hasenkerzen, Kerzen in Hasenform. Diese Kerzen sind im Siedlungsgebiet der Tataren weit verbreitet. Hasen gelten von alters her bei den Tataren als Lichtbringer, als Lichtbewahrer. Seit ältester Zeit werden dort Kerzen in Hasenformen gezogen. Noch heute gibt es diese Hasenkerzen in jedem südrussischen Kolonialwarengeschäft. Diese Hasenkerzen, diese lichtspendenden Hasen, waren das Erste und lange Zeit das Einzige, was Joseph Beuys, wenn er aus seiner tiefen Ohnmacht erwachte, sah und wahrnahm.

Dass nicht nur das tierische Fett und die Filzdecke, sondern auch der Hase tatarischen Ursprungs sind, wird meist übersehen und wenig beschrieben, ob wohl Joseph Beuys selbst daraus nie ein Geheimnis machte.

 

Literatur:
Beuys, Joseph: Selbstzeugnisse; Darmstadt 1972
Brandis, Henning: Gespräche; Berlin 1989
Maurer, Philip: ein häslein an der krippe; Feiburg 1992
Stüttgen, Johannes: Der Ganze Riemen...;A. Dielmann, Frankfurt 20002