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Über Tee
Tee trinken
Teeblätter
und Metamorphosen

 

Aus den Aufzeichnungen des Otto Danius Zemilis

Der Gesang
Das Wasser wird heiß
frische Blätter warten
Sei du bereit

Hinweis:
In den Bergen, vor denen wir sitzen, wächst ungezählt der Tee.
Der Horizont ist grün
.

Beispiel:
Wir legen vor:
Schüler: Wie kann ich den Pfad des Tees beschreiten?
Meister: Trete dir selbst auf die Füße.

Zwischenbemerkung zum Beispiel
You Qu fragt den Bauern Li, wo er den Weg des Tees finden könne. Li erklärt, wenn er, Qu, den Tee trinke, er den Weg nicht gehen müsse. Seit wann begeht ein Weg einen Weg.

Erläuterungen 1 & 2
Während der Tee aufgebrüht wird, werden alle Inhaltsstoffe* aus den Blättern und Stängeln gelöst. Das, was der Tee ist, der Inhalt, die Seele, das trinken wir. Er durchströmt unseren gesamten Organismus. Er belebt das immer wache Gehirn, harmonisiert das ständig schlagende Herz, wirkt auf all unsere feinen Nerven. In jeder Zelle unseres Körpers hinterlässt der Tee seine Spuren. Was Li meint: Dass wir, wenn wir den Tee trinken zum Tee werden, dass der Tee in uns Mensch wird. Ob wir zum Tee oder der Tee zu uns werden, ist unwichtig. Aber achte: Wenn ich Tee werde, werde ich nicht Tee sein, wie dem Tee das Menschsein fremd bleibt.

Das, was von dem Aufguss übrig bleibt, ist die Hülle, ist die Zellulose. Werfe den Mantel des Tees nicht achtlos beiseite. Sie ist die Mutter dessen, was du in dir aufgenommen hast, zu dem du wurdest. Werfe den Mantel des Tees nicht achtlos beiseite. Achte das, was übrigbleibt, wie auch deine Hülle, wenn die Stunde kommt, geachtet werden will.

Otto Danius Zemilis
Im Jahre 1970 lernte ich den litauischen Japanologen Otto Danius Zemilis, (geb. 1892 - gest.1975) kennen. Otto D. Zemilis bereiste von 1924 bis 1927 Japan. Die längste Zeit seiner Forschungsreise verbrachte er im südlichen Teil Japans, in dem der traditionelle Teeanbau zuhause ist.

Von 1928 - 1932 veröffentlichte er mehrere Reiseberichte, wissenschaftliche Artikel über Japan, wobei sich seine Veröffentlichungen auf den Teeanbau, dessen Konsum, auf die Teekultur und deren Einfluss auf das „Geistesleben“ Japans fokussierte. 1933 bekam Otto D. Zemilis Publikationsverbot, ab 1936 wurden seine Arbeiten als dem nationalsozialistischen Deutschland schädlich, als antideutsche Wissenschaft verboten.

Im Krieg wurde er zu so genannten „Bewährungseinsätzen“ eingeteilt. Bei einem dieser Himmel-fahrtskommandos „verlor“ er sein rechtes Unterbein. Die von seinem Vorgesetzten unterstellte Selbstverletzung konnte ihm nicht nachgewiesen werden, so dass er in einem Lazarett gepflegt und gerettet werden durfte.

Nach dem Krieg, als seine ehemaligen Vorgesetzten und linientreuen Kollegen sich gegenseitig Persilscheine ausstellten, als harmlose Mittäufer eingestuft und mit guten Pensionen versehen wurden, wurde Otto D. Zemilis nicht rehabilitiert. Erst 2003, 28 Jahre nach seinem Tod, taucht sein Name in einer Generalamnestie auf.

Otto D. Zemilis fand nach dem Krieg keinen Anschluss, keinen Platz in der sich wieder sortierenden akademischen Welt. „Für solche wie mich, als Gebrandmarkter, war kein Platz. Die Alten besetzten weiterhin alle Stellen. Es war eine große Rochade. Wie Spatzen, die man aufscheucht und wenn sie sich wieder hinsetzen, niemand mehr weiß, wer wo ehemals saß, nur dass es die gleichen sind. Die hatten alle Angst vor solchen wie mir, die noch immer als die Undeutschen, als Verräter galten.“
Otto D. Zemilis ließ sich in einer süddeutschen Kleinstadt, die ihm nach dem Krieg zugewiesen wurde, nieder, gründete dort einen Verlag für litauische Literatur, in dem auch einige kleine Schriften seiner Japanologie erschienen. Der Erfolg des Verlages war mehr ein ideeller. Otto D. Zemilis war für den Rest seines Lebens auf Spenden, auf Gönner, auf Almosen angewiesen.

Ich lernte Otto D. Zemilis als alten, müden Mann mit neugierigen und wachen Augen kennen.
Er erzählte mir in einem gebrochenen Deutsch viel über Japan, von der dortigen Teekultur. So müde er war - immer wieder schlief er während des Redens ein - so wenig war er innerlich ermüdet oder resigniert. Bei Teezeremonien, an denen ich teilhaben durfte, wurde mir ihre Bedeutung erklärt. Er gab mir Adressen, wo es „echten“ japanischen Tee zu bestellen gab. Ich bekam den Eindruck, dass er mich als seinen Schüler betrachtete, der seinem Weg weiter folgen wird. Dies machte mir Angst, einer solchen Verantwortung fühlte ich mich nicht gewachsen.

Ich war damals sehr jung, schnell, quirlig, wollte die Welt erobern und verbessern. Heute, in ab-sehbarer Zeit so alt wie er damals, finde ich es schade, dass ich mich nicht auf ihn einlassen konnte. Ich vergaß die Begegnungen mit ihm aber nie. Er gehört zu den prägenden Personen meines Lebens. An einem der letzten Male wo wir uns sahen, gab er mir ein von ihm geschriebenes kleines Buch mit dem Auftrag: „Bewahren Sie es auf, mein Junge. Es ist mir von großer Wichtigkeit“.
Ich floh aus der Enge der Kleinstadt, ging nach Berlin, baute mir dort ein neues Leben auf. Als ich viele Jahre später wieder einmal an ihn dachte und nach ihm fragte, wurde mir sein Tod mitgeteilt.
Ich glaube,es war damals, als ich von seinem Tod erfuhr das erste Mal, dass ich in sein Büchlein, das ich wie einen Schatz aufbewahrte und behandelte, hineinsah.
Es war auf litauisch, japanisch und deutsch geschrieben.

Als ich vor Kurzem, wieder viele Jahre später, ohne ersichtlichen äußeren Grund, mich erneut dem Tee, dem grünen Tee zuwandte, fiel mir die Schrift von Otto D. Zemilis wieder ein, das Büchlein, das immer noch eine prominente Stelle in meinem Bücherregal einnimmt. Nun begann ich, mit Hilfe von Herrn You Nakai, der das Japanische übersetzte und Frau Vilma Kudirka, die das Litauische ins Deutsche brachte, seine Texte zu studieren und erinnerte mich an ihn, an die Begegnungen mit ihm.
Die Schrift, die ich nun studiere, ist Myōe**, Yinyuan Longqi*** und den Verfassern und Kommentatoren der „Aufzeichnungen des türkisblauen Felsens“**** gewidmet.

Mit der kleinen Ausstellung im Schaufenster des „Museum der Unerhörten Dinge“ möchte ich Sie, in den Zeiten des SARS-CoV-2 mit einem kleinen Teebeitrag an den Schriften Otto D. Zemilis teilhaben lassen.

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* Vitamine und Mineralstoffe, Koffein, Gerbstoffe, ätherische Öle, Fluor, Kalium, Kalzium, Kupfer, Zink, Aluminium, Mangan, Theophyllin, Theobromin, Karotin, Vitamin A, Vitamin B, Vitamin B2, Vitamin B12, Vitamin C. Bei der Herstellung von schwarzem Tee gehen viele Inhaltsstoffe im Zuge der Fermentation verloren.

**Myōe  jap.:  明恵, (geb.1173 – gest.1232), Mönch, der den Tee nach Japan brachte,

***Yinyuan Longqi jap.: 隱元隆, (geb. 1592 – gest. 1673), Zen-Mönch, der eine bedeutende Zen-Schule begründete und maßgeblich die Teekultur Japans prägte

**** „Aufzeichnungen des türkisblauen Felsens“: eine Sammlung von 100 Kōans (paradoxe Rätsel) in 10 Faszikeln (Heften) aus der Blütezeit des chinesischen Chan-Buddhismus der Song-Dynastie. Zusammengesammelt von Xuedou Chongxian 雪重, (geb.980 - gest. 1052) und kommentiert von Yuanwu Keqin chin.:圜悟克勤, (geb.1063 - gest.1135).

 

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