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Von schwarzen und weißen Köpfen und Küssen
oder
Wie im Rahmen der großen Gewerbeausstellung
1896 im Berliner Treptower Park ein Kampf zwischen weißer und schwarzer Schokolade entstand.

Im Berliner Treptower Park, eingezwängt zwischen dem sowjetischen Ehrenmal und dem Traditions-Gasthaus „Zenner“, ist das längste bewegliche Fernrohr der Welt, die sogenannte „Himmelskanone“, zu besichtigen. Dieses Fernrohr war Bestandteil der großen Gewerbeausstellung von 1896. Da Berlin, wie üblich, nach der Ausstellung Geld fehlte, um das Fernrohr wieder abzubauen, baute man um das Fernrohr die heutige Archenhold-Sternwarte. 1915 hielt Albert Einstein in diesem Gebäude seinen ersten öffentlichen Vortrag über die allgemeine Relativitätstheorie.

Diese „Himmelskanone“ ist das einzige, was noch an die Gewerbeausstellung von 1896 mit 7,4 Millionen Besuchern erinnert. Bei dieser Gewerbeausstellung wurden, neben der „Himmelskanone“ die neuen Röntgenstrahlen genau so präsentiert wie die neuesten Kriegsschiffe, neue Sorten von Kartoffeln und auch „Ureinwohner“, „Schutzbefohlene“ aus den deutschen Kolonien. Bei dem noch heute existierenden Karpfenteich des Treptower Parks wurde ein authentisches „Negerdorf“ nachgebaut, mit über hundert „echten Eingeborenen“. Diese „Schauneger“, wie man sie offiziell abwertend nannte, sollten das dörfliche Leben ihres „Herero- und Hottentotten-Landes“ dem neugierigen Publikum vorführen. Diese „Neger“ waren meist sehr gebildet und wurden mit dem Versprechen, „sich über Deutschland unterrichten zu können und diplomatische Verbindungen zu knüpfen“ nach Deutschland „gelockt“.

Friedrich Maharero, ältester Sohn des Paramount Chiefs der Herero, der als 20-jähriger 1896 nach Berlin kam, sagte 1947 in einem Interview:„Die Deutschen haben uns bekämpft und uns unser Land weggenommen. Dies ist der Grund, warum sie nichts Gutes in uns sehen wollen. Die Herero haben überhaupt nichts von ihnen gelernt außer dem Wort ‚Gott‘. Die Deutschen haben die Herero gefürchtet. Daher wollten sie nicht, dass wir lernen und uns weiterentwickeln.“
Wie bis heute bei solchen Volksschauen üblich, war das kulinarische Angebot der Händler sehr groß. Neben Berliner Bratwürsten und Reibekuchen, Gepökeltem Eisbein, Spreegurken und Buletten gab es Zigeunerschnitzel und den Negereintopf. Als Süßwaren: Zuckerwatte, Schweineohren, Amerikaner, Splitterbrötchen, Kameruner und Mohrenköpfe.

Um diese „Mohrenköpfe“ - Kinderfaust großer gezuckerter Eiweißschaum mit Schokolade überzogen - gab es einen erbitterten Streit. Die fortschrittliche, republikanisch eingestellte Bevölkerung bezeichnete diese „Mohrenköpfe“ als typisch für das rassistische, menschenverachtende Kaisertum, wie sie auch die Völkerschauen insgesamt vehement als diskriminierend ablehnten.
Die konservativen, reaktionären, kaisertreuen Kräfte meinten, dass es erzieherisch wertvoll sei, der Bevölkerung die „Neger“ zu zeigen, dass dadurch jeder Deutsche ein Stück stolzer sei, dem natürlich Höheren, der Herrenrasse anzugehören.

Der Konditormeister Julius Jencke aus Schöneberg, dem FAV (Freier Anarchistischer Verein) angehörig, war ein Mann der Tat und stellte mit weißer Schokolade „Weißköpfe“ her, die Bauchladenverkäufer vor der Gewerbeausstellung anboten. Ein sofortiger Eilantrag zum Verbot dieser „ekelhaften Provokation“ wurde abgelehnt, da sich das „Weiß“ sichtlich nur auf die weiße Schokolade beziehen würde.

Nun schäumte die reaktionäre Presse, sie sprach von Skandal, Verunglimpfung, von Sittenschande war die Rede. Weißköpfe seien heilig, höher stehend und nicht zum Essen.

In den Zeitungen wurde ein Pro und Kontra zu weißer und schwarzer Schokolade geführt, welche Schokolade dem deutschen Wesen mehr entsprechen würde. Professoren verschiedener Fakultäten lieferten sich einen erbitterten Streit, Kompromissler gaben zu bedenken, dass das Schwarz wie das Weiß in der Fahne des Deutschen Reiches sei und das Konditorgewebe betonte, dass das alles doch nur Schokolade sei.

Über den Streit wurde alsbald ausführlich auch in internationalen Zeitungen berichtet, meist unter dem Titel „Neues aus dem Berliner Schokoladen-Krieg“.

Als die Weißköpfe, die inzwischen von den meisten Konditoreien angeboten wurden, schon die Mohrenköpfe in der Beliebtheit zu überholen drohten, änderte sich das urplötzlich, denn die „Mohrenköpfe“ bekamen von der Bevölkerung den liebevollen Namen „Negerkuss“ und die schwarze Schokolade begann ihren Siegeszug.

Was war geschehen?

Die Mädchen und jungen Frauen scherten sich wenig um die Auseinandersetzung zwischen den weißen oder schwarzen Köpfen, sie sahen nur die interessanten, exotischen, gut aussehenden, höflichen jungen Männer von der Kolonialausstellung, rassig, schlank, muskulös, mit der schönen dunklen Hautfarbe und schwärmten von ihnen.
1909 schrieb rückblickend die Deutsche Kolonialzeitung über die „beschämenden Erinnerungen an die Kolonialausstellung von 1896 in Berlin, wo weiße Frauen und Mädchen solchen Negern aus Kamerun und anderen Kolonien nachliefen, die für sklavische Frauenseelen zu königlichen Hoheiten wurden.“

Über Verirrungen des triebhaften Geschlechts bis zur Rassenschande, wo Gott gegebene Tabus mit den Füßen getreten würden, ereiferte sich die konservative Presse. Den jungen Frauen und Mädchen war das egal, sie schwärmten von den „Negerküssen“, und diese wurden der größte Hit. Die reaktionären Kräfte schäumten vor Wut, veranstalteten einen „Affenzirkus“, sahen Deutschland zum „Kafferland“ mutieren und wollten nun diese Küsse, die vormaligen „Mohrenköpfe“, verbieten lassen, was wieder abgelehnt wurde.

Die republikanischen Kräfte versöhnten sich mit dem „Negerkuss“, sie sahen in dem Kuss eine Aufwertung der diskriminierten schwarzen Bevölkerung.

Die Weißköpfe bekamen nie den Namen Weißkuss, denn diesen konnte man ja an jeder Ecke Berlins bekommen.

Heute ist nach der dringlichen Sprachkorrektur nur noch der Kuss Bestandteil des süßen Schaum-genusses, er heißt heute Schokokuss, Schokoladenkuss, Naschkuss, Schaumkuss etc. und in Österreich heißt er Schwedenbombe, was aber nichts mit den Schweden, die im 30-jähren Krieg in Österreich waren, zu tun hat. Aber das ist eine andere Geschichte, wie die Schweden in Österreich zu einer Bombe kamen.

Literatur:
Afrika in Berlin, Deutsches Historisches Museum - Ein Stadtspaziergang des DHM, WWW aufgerufen 26.06.2017.
M. Schwarz, Die Geschichte der Schokolade, Frankfurt a.M., 2012
G. Zebra, Schokolade muss nicht immer schwarz sein, Hamburg, 1978
Esquivel, Laura, Bittersüße Schokolade, Roman. Frankfurt, 1994
Saniye, Über Schokolade im Angebot, Berlin, 2012