logo museum der unerhörten dinge

 

jodeln

Über die ehemalige Jodlerschule zu Berlin

Von dem Erfolg der Jodlerschule zu Leipzig ganz angetan machten sich das Geschwisterpaar Mechthild und Joseph Moser, aus Jerzens im vorderen Pitztal in Tirol auf, das Jodeln nach Berlin zu bringen. Sie gründeten 1905 eine Jodelschule, mit dem Namen „Juchz mit Mechthild und Joseph“ in der Großbeerenstraße 62 in Berlin SW 61.

Ihre Vorbilder waren Alois Xaver Witsch mit seiner Frau Resi, ebenfalls aus Jerzens, bei denen sie schon als Kinder im Stall und auf den Weiden beim Viehhüten das Jodeln lernten und mit ihnen, als Nachbarsfamilie, viele Stunden mit Stubenmusikabenden verbrachten.

Das Ehepaar Witsch ging 1897 mit einer „Heimatgruppe“ nach Leipzig. Es war eine Art Reformvölkerschau. Ein Kollegium um den damaligen Zoodirektor übte starke Kritik an den Völkerschauen des Herrn Hagenbeck aus Hamburg. Sie brandmarkten die damals beliebte Menschenzurschaustellung als entwürdigend und argumentierten, dass man nicht bis nach Afrika oder Grönland schauen müsse, um das Unbekannte kennen zu lernen: „Warum in die Ferne schweifen, wo das Fremde doch so nah“, war ihre Losung. Mit dieser Überzeugung und mit Unterstürzung der Arbeitervereine organisierte ein „Heimatkomitee“ von Aktivisten so genannte Heimatschauen.

Die erste erfolgreiche Präsentation einer Heimat war eine mit Badensern in historischen Trachten, die in dem Gehege von Hirschen und Rehen untergebracht waren und dort authentisch ihre badische Heimat lebten. Für die zweite Heimatschau fuhr eine Anwerbedelegation nach Tirol. Wieder wurden Originale, urige Personen gesucht, diesmal Menschen, die die Kultur der Berge repräsentierten. Mit 28 Angeworbenen kam die Abordnung nach Leipzig zurück, und die Tiroler zogen in das Gehege der Gämsen und Steinböcke ein. Tagsüber, während der Öffnungszeiten, „bergbauerten“ sie an den eigens eingerichteten Hütten, spielten Musik, jodelten und juchzten.

Das Ehepaar Witsch aus Jerzens war für die Musik zuständig und so erfolgreich, dass das sonntägliche Konzert schon bald hunderte Schaulustige anzog. Zu den unter der Woche gegebenen Jodelstunden kamen immer mehr Interessierte, die sich ebenfalls im Jodeln und Juchzen versuchten, so dass das Ehepaar Witsch bald in ihrer freien Zeit Unterricht im Jodeln und Juchzen gab.

Als nach einen Jahr die tiroler Darbietung von einer aus Ostpreußen abgelöst wurde, blieb das Ehepaar Witsch in Leipzig und eröffnete die erfolgreiche Jodelschule „Juchz und Brumm bei Xaver & Resi“.

Das Geschwisterpaar Mechthild und Joseph Moser wollten an diesen Erfolg anknüpfen.

Sie grenzten sich als erstes von den bereits existierenden Jodlerbünden, die sich um den damaligen „Deutschen und Österreichischen Alpenverein“ gebildet hatten, ab, deren Satzung besagte, dass nur christlich getauften das Jodeln beigebracht würde, dass Jodeln „urarisch“ sei und andere Rassen nur Zweifel und Zwietracht in das fröhliche Jodeln bringen würden.

Mit solchen Gedanken wollten Mechthild und Joseph Moser nichts zu tun haben, sie wollten, dass das alpenländische Jodeln für jeden und jede Fröhlichkeit und Freude bringt.

Ihr heiteres und unbeschwertes Jodeln und Jauchzen, zog die Lebensreformbewegung an. Bald jodelten sie zu dem neu entdeckten Yoga, juchzten in Meditationsübungen, boten Kurse wie „das Pranayama (Atemübungen) des Jodelns“, „Juchzen wie die Sufis“, „die Entdeckung der Meeresmutter im Alpengesang“ etc. an. Mechthild und Joseph Moser wurden eingeladen zu Arbeiterversammlungen wie auch in bürgerliche Gesellschaften. Ein Kneipverein verknüpfte die Kraft des Jodelns mit der Heilkraft des Wassers.

Es bildeten sich Ableger, so genannte Freie Jodler, die sich in einem losen Verband zusammen schlossen.

1914, mit Ausbruchs des ersten Weltkrieges, kehrten beide wieder nach Jerzens in ihr Tirol zurück. Mechthild heiratete 1918 nach Pitzthal dem heutigen St. Leonhard im hinteren Pitztal, ihre Nachkommen führen heute das gut gehende Wellnesshotel „Alpen-Spitze“, das unter dem Motto: „An der Tankstelle der Berge – berührend und kraftvoll die Alpen erleben“ gestressten Großstädtern Erholung und neue Lebenskraft in der reinen Luft der Berge bietet. Ihr Hauptklientel kommt aus Berlin.

Ihr Bruder wurde 1914 in den Kriegsdienst eingezogen und fiel in den Dolomiten, als die Italiener einen Gletschertunnel des „Muttereises“ der Österreicher sprengten. Erste Teile seines Leichnams wurden, bedingt durch die zunehmende Gletscherschmelze 2011 gefunden, und durch die noch erhaltene blecherne Erkennungsplakette konnten sie Joseph Moser zugeordnet werden.




Literatur:
R. Himmel, Die Körpertherapie, Berlin, 1981
G. Wiegert, Die Heilkraft des Singens, Köln, 1999
Z. Summring, Zur Herkunft des Jodeln, Ethnologische Schriften, Band 243, S. 146-189, Hamburg, 2010
W. Reich, Ausatmen, Kopenhagen, 1978
Uwe Nettelbeck, Der Dolomitenkrieg, Salzhausen-Luhmühlen 1976