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gabelWie die Gabel auf den Esstisch kam
wie auch
von Gabeln, Stockfisch, Edelweiß und Murmeltieren

Über das Avers

 

Bei einem Festbankett am 2. Februar 1545, anlässlich der lang ersehnten ersten Geburt ihres Sohnes Franz (1544 - 1560), des späteren Ehemannes Maria Stuarts (1542 - 1587), bestand Katharina von Medici (1519 - 1589) darauf, dass als Tafelbesteck auch eine Gabel aufgelegt werde. Es war eine Sensation, Gesprächsstoff für Monate und die Geburtsstunde der Einführung der Gabel als fürstliches Essbesteck. Die Gabel galt bis dahin als ein übles Gerät, es wurde in der Küche, von Köchen, notgedrungen als Werkzeug geduldet, aber bei Tisch hatte es nichts zu suchen. Da die Gabel schon lange zu den Tischsitten der arabischen Welt gehörte, wurde sie als muselmanisch bezeichnet, wurde als Zinkenattribut von Teufeln und Hexen angesehen. Dieser Bann der Gabel wurde bei jenem Bankett gebrochen. Seither gilt Katharina von Medici als die Fürstin der Gabel und des Damensattels, den sie ebenfalls propagierte und einführte, aber auch, und das zu Unrecht, als die Anstifterin der Bartholomäusnacht.

Der volle Durchbruch der Gabel an den europäischen Esstischen dauerte jedoch noch bis ins ausgehende 17. Jahrhundert. Die Katholische Kirche, wie auch die Protestanten boykottierten die Gabel als unhandlich, unsittlich, unmännlich, manierlich, venezianisch oder schlicht als dreizinkiges Teufelszeug („Gott behüte mich vor Gäbelchen.“ Martin Luther, „Was gereicht wird, hat man mit drei Fingern oder mit Brotstücken zu nehmen.“ Erasmus von Rotterdam).

Katharina von Medici, die eine leidenschaftliche Esserin war, ihre Leibesfülle verriet es allen, hörte sehr auf ihren Leibkoch Tano Marotto, den sie aus ihrer Heimat Italien nach Frankreich mitbrachte. Tano Marotto war im Spätsommer des vorhergehenden Jahres bei einem Geheimtreffen der königlichen und fürstlichen Leibköche im Avers.

Dort, in diesem einsamen, selten schönen Hochtal, treffen sich seit Menschen-gedenken Spitzenköche aller Länder, um in der Abgeschiedenheit des Tales über neue Rezepturen und die Vorlieben ihrer Kundschaft, über ihre Herrschaften zu reden, sich über neue Trends auszutauschen, aber auch, um verbindliche Absprachen vorzunehmen. Es ist nicht genau bekannt, seit wann diese bis heute andauernden Treffen stattfinden.

Neuere Forschungen über die Besiedelung des Avers besagen, dass eine Sied-lungswelle von freien deutschsprachigen Walsern in der Mitte des 13. Jahrhunderts das Tal von Süden her erreichte und dass die bis dato romanisch sprechende Bevölkerung von den Walsern langsam in ihre Kultur eingebaut, übernommen und assimiliert wurde. Daher die vielen noch existierenden romanischen Ortsnamen wie Campsut, Cröt, Zacce Pürt etc. Bei einer Feuerstellen- und Austrittsuntersuchung in Pürt konnte nachgewiesen werden, dass zwei Esskulturen aufeinander trafen, die Esskultur eines romanischen Bergvolks und die Essgewohnheiten der weit verzweigten, viel gereisten, getriebenen, frommen und freien Walser. Bei dem Umgang, Speisen zuzubereiten mit dem Wenigen, was das karge Tal hergab, befruchteten sich beide Kulturen so sehr, dass schon 1452 von einem „Averser Koch“, der im Dienste des Papstes Nikolaus V (1447 - 1455) stand, berichtet wird. Ob auf diesen namenlosen Koch das bis heute inkognito stattfindende Treffen der einflussreichsten Köche Europas zurückgeht, ist nicht nachweisbar, aber anzunehmen. Der erste schriftliche Hinweis eines Treffens von Köchen in den Bergen ist in der „Handschrift von Chur“ (heute in St. Gallen) von 1454 zu lesen, dort wird von „Köchen zuoberst im hinteren Thal“ berichtet.

Die nächste schriftliche Erwähnung geht aus Aufzeichnungen eines Kochs aus dem Schloss Ambras bei Innsbruck hervor. Dieser Koch, dessen Name nicht erhalten blieb, der aber viele Rezepte aufschrieb und dabei die Gar- und Kochzeiten immer mit den dabei zu betenden Vaterunser und Ave Maria angab, dieser schreibkundige Koch notierte aber nicht nur Rezepturen auf, sondern auch vieles, was sich um das Essen herum abspielte, er beschrieb Tischsitten, Trinkgebräuche, Essrituale etc. Seine Aufzeichnungen sind heute in der Stiftung für historische Kochbücher, B.I.N.G. in Lugano aufbewahrt. Von diesem Koch, dessen Auszeichnungen eine wahre Fundgrube für Gastrohistoriker darstellen, ist auch ein kurzer Bericht erhalten, in dem er von einem Treffen mit fünf anderen Köchen im Spätsommer 1544 in einem Tal schreibt, das nur von Süden zugänglich sei, aber im Norden liege. Außer ihm seien noch je ein Koch aus England, aus Spanien, ein Florentiner, ein Venezianer und einer vom französischen Hofe zugegen gewesen. Zwei, die sich angesagt hätten, seien aus unbekanntem Grunde nicht dabei gewesen. Sie hätten sich bei drei Bauern einquartiert und mit einem Taler Gold „freundlichste Zustimmung“ bekommen. Er erwähnt dabei die Namen Juppa und Loretsch. Nach langen Hin und Her, Abwägen, Verwerfen und wieder Aufnehmen wurde beschlossen, die von dem venezianischen Koch vorgestellte Gabel für den Tisch als Neuerung an den Höfen einzuführen. „Den Schwur, den wier gaben, wie imer bei einem weldlichen Eide, band uns zusamen die Beschlüse zu halten, die Rezepte mit den Gebeten zu verbinden und diß alles wie möglich stille zu schweigen über dies und die weiteren Treffen zu halten“. Außerdem wurde beschlossen, dass der römische Jungkoch Bartholomäus Scappi zu beauftragen sei, eine Rezeptbuchsammlung zusammenzutragen und aufzuschreiben, das dann 1570 mit dem bescheidenen Titel „Opera“ in Venedig erschien und das als das erste vollständige Kochbuch in Europa gilt.

Ein weiteres Treffen muss auch im Jahre 1597 stattgefunden haben. Ab diesem Jahre wird schlagartig an allen Höfen Europas von getrocknetem Fleisch gesprochen, das man Averserfleich oder auch Bergalgafleisch nannte. Seit 1597 ist dieses Fleisch, das wir heute als Bündnerfleisch kennen, eine begehrte Delikatesse. In den Hochtälern der Alpen war es eine übliche Konservierungsmethode, das Fleisch mit Salz einzureiben und an der Luft zu trocknen. Man benutzte das einheimische Steinsalz, das in den Alpen vorkam. Aufgrund des Averserfleisches, das in Italien schnell berühmt wurde, verlangte man nicht nur das getrocknete Fleisch, sondern auch das Bergsalz, das es seiner Reinheit wegen ermöglichte, den heutigen Parmesankäse herzustellen. So entwickelte sich ein reger Salzhandel mit Italien, ein wichtiger Salzhandelsweg führte durch das Avers. Der Begriff Bündnerfleisch entstand erst im 20. Jahrhundert, er wurde eingeführt, um eine einheitliche, effektivere Vermarktung zu erreichen.

Dass das Fleisch bereits im 17. Jahrhundert in ganz Europa verbreitet war, belegt auch ein Zitat aus einem Brief des norwegischen Herzogs Harald Blåtand (1617 - 1686) aus dem Jahre 1654. „...mir mangelt es am guten Gallischfleisch [unter diesem Namen war das Bündnerfleisch in Norwegen populär]. Seitdem die Dänen die Handelsblockade gegen unseren Trockenfisch aufgenommen haben, nur um den Katholen das Fasten zu erschweren, darbt ein Großteil der Bevölkerung, besonders unsere Fischer und ich bekomme kein Gallischfleisch mehr zu essen, das ich am besten vertrage von allem Fleisch. Mein Koch bracht mir, Gott sei ihm gedankt, ein großes Stück, das er selbst von dort geholt, von einer Reise mit“. Die Ursache des Fischboykotts war, dass der Trockenfisch, ein sehr wichtiges Handelsgut Norwegens zu jener Zeit in großen Mengen in katholische Gebiete exportiert wurde, da die dortige Bevölkerung während der Fastenzeit, die im Jahr 2 x 40 Tage betrug, wie auch an jedem Freitag, kein Fleisch essen durfte. Diese Episode ging in die Geschichte mit dem Namen „Stockfischboykott“ ein und währte ein knappes Jahr.

Ein weiterer Hinweise auf ein Treffen der Köche im Avers sind auch die Aufzeichnungen der Gräfin von Parma (1699 - 1779), einer großen Edelweiß-Anhängerin, ja Schwärmerin. Ihren Aufzeichnungen ist zu entnehmen, dass ihr Koch, der immer nur als „Burschie“ benannt wird, 1724 nach zweiwöchiger Abwesenheit, „... irgendwo in den Bergen, ein regelrechtes Geheimnis macht er da...“, ihr einen Edelweißsalat servierte und dass es später regelmäßig paniertes Edelweiß als Nachtisch gab.

Bei einem dieser Treffen muss auch der Kulinarphilosoph François Marie Daumart (1714 - 1798), ein Cousin Voltaires (1694 - 1778) dabei gewesen sein. Er schrieb 1741 in seiner bahnbrechenden Schrift „Genuss und Denken“: „Die Kochkunst ist eine der zentralen Künste der Menschheit, sie steht über allen anderen, sie ist engelgleich und der Musik verwandt. An einem geheimen Orte, hoch in den Alpen, aß ich das Beste, zubereitet von einer Handvoll zauberhafter Männer“. Er führt weiter aus, dass bei der Musik der Klang im Moment des Hörens, des Genusses verlösche, wie sich beim Essen der Geschmack nur in dem Moment des „sich-im-Mund-Befindens“ zeige, sich entfalte und unwiederbringlich nach Kau- und Schluckakt abnehme und verschwinde. Es ist ein Leben ohne Musik vorstellbar, aber ein Leben ohne Essen sei unmöglich, daher sei die Kunst des Kochens die höchste aller Künste und die Köche die höchsten aller Künstler. François Marie Daumart war der erste, der die Köche als Künstler bezeichnete, er war der erste, der sie nicht mehr nur als Nahrungszubereiter ansah.

1850 muss bei den Köchen über Murmeltierfleisch diskutiert worden sein. Von einem Piemonteser Bauern wird berichtet, der in der Winterszeit, wie viele Bauern aus dem Piemont, mit dressierten Murmeltierchen in Nizza auftrat und immer wieder darauf hinwies, wie menschenähnlich das Murmeltier sei und dass die Köche die Finger von den Tierchen lassen sollten. In Saluzzo hätte ein Koch, nachdem er von einer geheimen Fortbildungsreise für Köche in einem versteckten Hochtal zurück gekommen sei, Murmeltierfleisch angeboten. Dies sei aber von größtem Übel gewesen, die Bevölkerung hätte ihn mit Steinen beworfen und aus dem Städtchen gejagt. Murmeltiere, Murmeltierfleisch sei dem Menschen zu ähnlich und dürfe nicht gegessen werden.

Als 1900 das Tal nach langem Ringen endlich einen Straßenanschluss nach Graubünden bekam und die Straße nach Juf fertiggestellt war, schreibt der Journalist Petri Höffner in der Neuen Zürcher Zeitung über eine Postkutschenfahrt ins Avers. Er berichtet von einem Haus in Juppa, das in der Nähe der Straße steht, es sei unterhalb der Stelle, an der sich der Juferrhein und der Bergalgabach zum Aversrhein vereinen. Die Postkutsche hielt dort routinemäßig an und als er ausstieg, sah er durch ein Fenster, dem die wunderbarsten Gerüche entströmten, zwei Handvoll Männer, die an einem Herd standen und ungestüm gestikulierten. Neugierig geworden beobachtete er die Männer, wie sie Tag für Tag heftig diskutierend um einen Herd standen, auf Notizblättern Aufzeichnungen machten und sich in allerlei Sprachen unterhielten und offensichtlich verstanden. Als er diese Männer ansprach, gaben sie sich als eine internationale geologische Gesellschaft aus. Petri Höffner nennt in seinem Artikel diese von ihm beobachteten Männer die kochenden Geologen des Avers.

Es ist erstaunlich, dass über dieses seit Jahrhunderten stattfindende Treffen von Spitzenköchen so wenig bekannt wurde und bekannt ist.

Die Köche haben eine sehr große Berufsehre, sie sind bis heute, bei aller Konkurrenz und allem Neid, bereit, Verabredungen und Schweigegelübde strengstens einzuhalten. Denn jeder Koch weiß, wo die anderen ihre „dreckige Ecke“ haben oder, wie sie in ihrem Jargon sagen, „das Kakerlakenest“, das nicht für die Öffentlichkeit gedacht ist. So halten sich Kochgeheimnisse über Jahrhunderte bis heute.

Die meisten großen Köche und heute auch Köchinnen haben irgendein Attribut, einen Talisman aus den Alpen an ihrer Arbeitsstelle, ein kleines Edelweiß, ein Bild der Alpen, ein Stück Stein; aber fragen Sie einen dieser Koche oder Köchinnen, fragen Sie mal Jamie Oliver, Lothar Eiermann, Karlos Arguiñano, Gaetano Trovato und wie sie alle heißen, ob sie das Avers kennen, fragen Sie Sarah Wiener, Eckart Witzigmann, Harald Wohlfahrt und die anderen, ob sie von dem Treffen der Köche im hintersten Tag schon gehört haben, Sie werden garantiert ein sofortiges „Nein“ als Antwort, bekommen, „Hab noch nie davon gehört“, „Was soll das sein?“, „Wie heißt das Tal?“, „So was gibt es nicht“. Alle diese Antworten kommen etwas zu schnell, um ganz wahr zu sein, alle Antworten hören sich an, als ob sie abgesprochen seien.

P.S. Peter Peter schreibt in seinem hervorragenden Buch „Die Kulturgeschichte der Italienischen Küche“ über den Durchbruch der Gabel: „Tatsächlich dürfte die Verbreitung der Gabel den gegen Ende des 19. Jahrhunderts Mode werdenden Tomatensaucen zur Pasta zu verdanken sein.“

 

Literatur:
Peter Peter, Kulturgeschichte der Italienischen Küche. München, 2007
Hannes Etzlstorfer (Hrsg.), Küchenkunst und Tafelkultur. Wien, 2006
Bernhard Kathan, Verschwundene und seltene Gäste der Speisekarte. Ein Kochbuch. Innsbruck, 2004
Sándor Márai, Die Gräfin von Parma. München, 2002
Gerd von Paczensky, Anna Dünnebier, Kulturgeschichte des Essens und Trinkens. München, 1999
Alain Denis, Barfuß durch die Küche. Mit einem Vorwort von Lévi-Strauss. Frankfurt a. M. 1980
François Marie Daumart, Denken und Genuss. Frankfurt a. M., 1978
Moritz Schüber, Das Salz der Alpen. Zürich, 1954
Johann. Rudolf. Stoffel, Das Hochtal Avers. Zoffingen, 1948