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Naumburg


Ich nähere mich Naumburg, einem Begehr des heutigen Tages. Naumburg, der Dom, das Nitzsche Haus, die weltberühmten Stifterfiguren, die Uta.
Naumburg, oberhalb der Saale, von Hochwässern geschützt, der Radweg unterhalb der Stadt, ich muss abbiegen, den Berg hoch. Es ist früher Mittag. Ein sich gegenseitg ausführendes, unter den Armen eingehängtes Ehepaar, frage ich nach dem Weg. „Entschuldigen Sie bitte, wo komme ich am besten nach Naumburg hoch, ich möchte dort die Uta besuchen, wie alle, ungedingt,?“. Beide treten von mir zurück, schauen mich irritiert, leicht entsetzt an, halten sich noch fester eingehängt. Was ist jetzt los? Mir erscheint es, als ob ich etwas Unanständiges, Obszönes gesagt hätte, als ob ich ein schmutziges Wort verwendet habe, als ob ich nach einen Bordell gefragt habe, nach einem Puff mit dem Namen „Zur scharfen Uta“. Mann, allein, sucht Puff!? Schnell schiebe ich nach „zu dem Dom mit der berühmten Stifter Skulpturen aus dem 12. Jahrhundert, möchte ich“, als nekrophil werden sie mich schon nicht halten. Sie schauen mich nun etwas freundlicher an. „Bei den Campingplatz, dort, links die Straße hoch, da geht es nach Naumburg“. Ich bedanke mich.
Sicherheitshalber frage ich noch einen Radfahrer, hütete mich aber die Uta zu erwähnen.

Naumburg: Hinter der Stadtmauer empfängt mich eine Blaskapelle. Humtata, ein Tusch. Das ist nun wirklich nicht nötig, so ein Empfang auf dem Holzmarkt, wirklich nicht. Zum Glück, sieht, erkennt das Festkomitee mich nicht, sie haben meinen feierlichen Empfang, durch ein Weinfest getarnt. Das ist es mir recht, die Peinlichkeit, öffentlich empfangen zu werden, bleibt mir erspart.
Ich ziehe meinen Kopf ein, verdrücke mich, winke noch kurz Friedrich Nietzsche hinter dem Platz zu. Habe heute keine Lust Nietzsche zu treffen. Sicher würde er wieder Bedeutsames von sich geben, mich wieder mit einem Aphorismus beeindrucken der mich den restlichen Tag beschäftigen würde. Er ist kein kommunikativer Genosse, er hat immer, zu allem etwas zu sagen und hört nie auf Nietzsche zu sein, er kann es nicht lassen. Das nächste Mal wieder, mein Freund, heute nicht!
Menschenmassen sind zum Dom unterwegs, unter ihnen mein Fahrrad mit mir. Die einen gehen, die andern kommen. Busladungen. Uta Touristen, Dom Bestauner, Kulturinteressierte. Kunst-, Postkarten-, Mitbringsel Geschäfte, Kaffees, Restaurants, mitten drin eine Bürstenmacherei, die Bürstenmacherei Steinbrück.

Vor dem Dom: Kleine Gruppen sich orientierend und bedacht sich nicht zu verlieren; Kulturerbetouristen, wissend, schauend; Busreisende gegenseitig auf sich wartend, dem Führer folgend; verloren herumstehende Einzeltouristen wie ich; Fahrradfahrer ihre Apps suchend und studierend wie sie weiterkommen; gelangweilte Kinder die an den Händen gehalten werden, damit sie nicht weglaufen; notdürftig gewaschene Campingbusreisenden, die Männer stolz auf ihr unrasiertes Gesicht; ältere Menschen mit gedruckten Kulturführer in der Hand, welch Rarität; Jüngere mit Tablets den entsprechen Wikipedia Eintrag suchend; ganz Jüngere Selfi machend, um gleich auf Instergram sich selbst zu vergewissern; Männer die ihren genervten Frauen anhand des Domvorplatzs die Welt erklären; Frauen die ihren gelangweilten Männern Kultur erklären; Gruppen von Chinesen, die die Japaner in ihrer Masse abgelöst haben; eine Gruppe Älterer, ihre arthritischen Gelenken mit Schmerzmittel beruhigt, schleppen sich vom Bus kommend zur nächsten Sitzgelegenheit, schnell schließe ich mein Fahrrad ab um vor ihnen die Bank zu erreichen, mich vor ihnen hinzusetzen, bevor ich es zulasse, dass das Weltkultuserbe auf mich einschlägt.
Wir halten uns gemeinsam tapfer. Der Unlust wird nicht nachgegeben. Man muss ihn besuchen den Dom, die Pflicht eines jeden Saaletalbesuches. Die Uta, die Frau deren drei Buchstaben, in keinem Kreuzworträtsel fehlt. Sie, die mit ihrem melancholischen, 800 Jahren alten, geheimnisvollen Blick, ihr Geheimnis behält. Besuchte die Mona Lisa bevor sie schaute die Uta in Naumburg, ihre Verwandte im Blick?
Vielleicht hatte das sich festhaltende Ehepaar, die mich so entsetzt anschauten, ja recht. Sie erleben vielleicht den täglichen Uta Rummel und empfinden den Dom als Puff, als Uta Puff, als ein Kultur Bordell. Es geht bei Leibe nicht um die Liebe zur Kunst, sondern um einen kurzen Höhepunkt, um den schnellen kurzen Sensationsgenuss, um ein kurzes Kunstrammeln, einen Busstop, um zwischen dem Mittagessen und Kaffeetrinken schnell noch eine Kunstnummer zu schieben. Die arme Uta.

Ich suche sie auf..
Vor ihr steht ein Mädchen ganz still, vielleicht acht Jahre, sie schaut sich die Figuren ganz genau an, fixiert sie, die Uta. Ganz schüchtern aber auch selbstbewusst fragt sie plötzlich:
Warum schaust du so traurig“?
Die Frau auf dem hohen Sockel antwortet:
Das ist bei uns so üblich, ich muss so schauen, das ist nicht traurig wie ich schaue, das ist würdevoll. . . “
Ganz deutlich höre ich die Uta, in einem altertümlichem deutsch sprechen. Niemand sonst außer dem Mädchen und mir scheint sie zu hören.
„… ich komme aus einem adeligen Geschlecht, wie heißt du denn? Ich heiße Uta
Erika
Das ist ein schöner Name, den du hast“
Die Herumstehenden schauen auf ihre Handys, fotografieren mit langen teuren Objektiven, lesen auf ihren Tablets, in einem Begleitheft, lassen ihre Augen durch die Gegend treiben, flüstern sich etwas zu.
Stimmt es, dass du Angst vor dem Mann neben dir hast?, Mamma sagt das.“
„Das höre ich oft. Ganz leise flüstern sich die Besucher das zu, so leise, dass ich es nicht hören soll, aber ich höre es. Nein Erika, das ist nicht so, ich habe keine Angst. Aber Liebe, wie es sie bei euch heute gibt, das kennen wir nicht. Ich wurde nicht gefragt, wer mein Gatte werden soll, die Frage, nach so etwas wäre unsittlich gewesen. Das wird bestimmt. Heute fragt man selbst am Traualtar ob man sich haben möchte. Hier zu meinen Füßen hörte ich das oft“
„Hast du Kinder?“
„Ja ich habe 5 Kinder 4 sind gleich nach der Geburt gestorben und das eine ist ein Mädchen, das zählt nicht. Ein Kind zählt erst, wenn es ein Junge ist. Ich werde sicher noch einen Jungen bekommen falls ich nicht vorher bei einer Geburt sterbe.“
„ Warum willst du sterben“
„Ich will nicht sterben, aber viele Frauen sterben bei der Geburt.“
„Meine Mamma ist nicht gestorben“
„Ja Erika, es ist heute vieles anders, als es bei mir war.“
„Stehst du immer da da oben“
„Ja da hat man mich hingestellt! Ich bin aus Stein und kann mich nicht bewegen“
„Würdest du gern weg gehen“
„Manchmal ja, aber ich habe mich daran gewöhnt hier zu sein und ich sehe jeden Tag viele Menschen, denen höre ich zu, das genügt mir.“
Plötzlich ein Ruf: „Erika, Erika, jetzt komm doch endlich, was gibt es da schon wieder zu sehen, immer stehst du herum und träumst“
„Ich habe mich mit der Frau da unterhalten“
„Komm“
sagt ihre Mutter „komm wir gehen. Die ist schon lange tot. Die redet nicht mehr, komm jetzt schon“ Das Kind springt weg, zu ihrer Mutter.
Ich schaue die Uta an, ich trau mich nicht sie anzusprechen. Sie spricht sicher nicht mit jedem,

Es wird Zeit, ich muss weg, ich radle ich weiter.

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