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wortschalenAus der Geschichte der frühen Tonaufzeichnung
oder
Über die Wortschalen Sanssoucis und die Wiederentdeckung einer alten Kunst

 

Als die Berliner Künstlerin Carola Scheil Mitte der neunzehnhundertneunziger Jahren in der Klang-Galerie Hans-Jürgen Sonkowskis ihre Wortschalen präsentierte und sich auf die lange Tradition dieser Kunst berief, wurde sie mit Fragen überschüttet, denn kaum jemand kannte das Verfahren, Klang in Lack zu konservieren.

Als die ersten Majolika (Fayencen) im 15. Jahrhundert aus dem Arabischen über Mallorca, daher Majolika, nach Italien kamen, staunte man nicht nur über das Material, sondern auch über die Technik der Bemalung. Die Kunst der Fayence, die in der arabischen Welt schon seit Jahrtausenden bekannt war (erste Nachweise im 4. Jahrtausend v. Chr.) sowie in Persien und Mesopotamien bereits hoch entwickelt und vom Islam übernommen wurde, ward in Italien schnell nachgeahmt. Diese porösen Scherben, die gut bemalbar waren, mit der sich auch hervorragende Skulpturen, Vasen, Schmuckgegenstände und Schalen herstellen ließen, bekamen den Namen Fayence, durch die Französisierung von Faenza, der italienischen Keramikstadt.

Die Rezepturen der Zinnglasuren, Unterglasurfarben wie auch der Muffelfarben wurden aus dem Arabischen übernommen, variiert, weiter entwickelt und von den einzelnen Manufakturen verborgen gehalten und vergeheimnist.

Als Motive der Bemalung wurden gern Bilder von eingeführten Porzellanvasen aus China oder Japan kopiert und verheimatet, aus Pagoden wurden Windmühlen, aus Geishas Barockdamen. Die Stadt Delft begründete ihren Weltruhm mit der Kopie der blauen, japanischen Porzellanmalerei. Motive aus der islamischen Welt wurden von der Geistlichkeit nicht nur nicht gern gesehen, sie waren mit einem unausgesprochenen Verbot belegt.

Das, was den ganzen Fayence-Manufakturen nicht gelang, war, die Ware so dünn herzustellen, wie das aus China stammende fast durchsichtige Porzellan. Fayencen wirken dagegen plump und unbeholfen. Was den Manufakturen ebenfalls nicht gelang, war Schalen herzustellen mit einem sich nie gleichenden, in sich verlaufenden Muster. Diese aus China stammenden männerhandspannengroßen, hauchdünnen, halbkugeligen Porzellanschalen waren sehr selten und kostbar und nur wenigen der europäischen Könighäuser war es vergönnt, einige solcher Schalen ihr eigen zu nennen.

Diese sogenannten Wortschalen waren außen meist weiß glasiert; in ihrem Inneren marmorierte ein selten schönes, vielschichtiges Farbenspiel, manchmal meinte man, ein Feuerwerk zu sehen, manchmal ein Muster einer Landkarte oder den Verlauf des Sternenhimmels. Nie glich eine Schale der anderen.

Dass diese kostbaren halbrunden Schalen Wortschalen genannt werden, verdanken sie der ihnen anhängenden Erzählung, dass in den Schalen Worte gespeichert seien, Mitteilungen, die nur ein Kundiger entziffern könne. Die Größe und der Reichtum wie auch die Weisheit und der Schutz des im fernen Osten liegenden Chinesischen Reiches sei auf solchen Wortschalen begründet. Der Kaiser von China würde Worte in rohe Porzellanschalen sprechen, die bei dem anschließenden Brand dort für ewig fixiert seien. Solche Schalen, die grundsätzlich dieselbe Größe von 14 cm haben und die genau die Hälfte einer Kugel seien, würden in alle Provinzen des Landes verschickt und überall kann damit den Untertanen das Wort des Kaisers aus den Wortschalen heraus verkündet werden. Auch bei Kriegen würden viele Befehle über diese Wortschalen verbreitet werden. Das gesamte Wissen des riesigen, fast mystisch reichen Reiches sei in solchen Schalen abgelegt, gespeichert und in einsamen Bergklöstern verwahrt. Die Mönche dieser Wissensklöster hätten spezielle Kriegstechniken, die es ihnen ermögliche, die Schalen vor jeglichen Feinden zu verteidigen.

Dieses Wissen um die große strategische Bedeutung der in Porzellan niedergelegen Worte veranlasste den sächsischen Kurfürst, August der Starke (1670 - 1733), verstärkt nach dem „weißen Gold“ zu forschen. Als 1708 endlich Johann Friedrich Böttger (1682 - 1719) das Porzellan in Meißen erfunden hatte, ging er gleich mit größter Geheimhaltung daran, auch die Voraussetzung für Wortschalen zu entwickeln.

Als zehn Jahre später der geflohene Arkanist Samuel Stöltzel (1685 -1737) die Rezepturen nach Wien brachte und dort Augärten-Porzellan hergestellt wurde, war das Monopol Meißens gebrochen und schnell verbreitete sich das Wissen um die Porzellanrezeptur.

1751 gelang es Jakob von Küner im schwäbischen Künersberg Porzellanschalen mit einer Glasur zu versehen, die eingesprochene Worte in verschiedene Muster verwandelt. Jakob von Küner übergab seinen Betrieb ein Jahr später seinem Sohn, der daraus keinen Gewinn erzielen konnte, der nicht einmal die Zusammensetzung dieser Glasur geheim zu halten vermochte. 1765, ein Jahr nach dem Tod seines Vaters, wurde die Manufaktur geschlossen.

Als der König von Preußen, Friedrich der Große (1712 - 1786), am 19. September 1763 die vor dem Bankrott stehende Porzellanmanufaktur des Johann Ernst Gotzkowsky (1710 -1755) kaufte, ging es ihm nicht nur um die Schönheit des Porzellans oder rein um das Geschäft mit dem Porzellan, sondern sein erster Befehl lautete, Wortschalen herzustellen und diese auf ihre Kriegstauglichkeit zu überprüfen: „…es sei festzustellen, ob Nachrichten auf diesem Wege hin- und hergeschickt werden können…
Fast alle Porzellanmanufakturen experimentierten mit Wortschalen, überall gelangen sie mehr oder minder gleich gut, aber das Problem, wie die Schalen die eingebrannten Worte wieder frei geben, konnte (bis heute) nicht gelöst werden. Die Schalen blieben stumm, kein Ton erklang, kein Klang ertönte!

Friedrich der Große, der ganz versessen auf diese Technik war, sagte seinen Kritikern: „:.. eines Tages, eines Tages wird man mich in einer fernen Zeit darin hören können…“ Selbst als Friedrich der Große auf Anregung des bei ihm um Arbeit nachsuchenden Giacomo Girolamo Casanova (1725 - 1798) ein ganzes Flötenstück in eine Schale spielte und es anschließend brennen ließ, war die Schale zwar mit einem schönen Muster versehen, aber sie blieb stumm.

Auf dem Schlosse Sanssouci sammelten sich mit der Zeit sehr viele dieser von ihm besprochenen Wortschalen an, man sagt, es seien Hunderte gewesen, und wurden als „Spleen vom Alten“ abgetan. Nach seinem Tod gerieten sie in Vergessenheit und wurden als Nüsschenschälchen oder Konfektschälchen etc. benutzt. Viele gingen bei den diversen Umbauten durch Friedrich Wilhelm IV(1795 – 1661) verloren. Bei den starken Zerstörungen des Schlosses Charlottenburg während des letzen Krieges ging der Rest der dort inzwischen gelagerten Schalen restlos unter.

Das letzte Mal von sich reden machte diese Technik der Wortkonservierung in feinen Porzellanschalen während des Kalten Krieges, wo beide Seiten mit dieser Methode experimentierten, um ihren Nachrichtendiensten neue Mittel zu geben. Als die westlichen Dienste 1967 glaubten, dass es der Sowjetunion gelungen sei, die gebrannten Worte wieder lesbar oder hörbar zu machen, verhängten sie für zwei Jahre ein strenges Pozellanschaleneinfuhrverbot aus den Ländern des Sozialismus. Erst nach der Konferenz der Geheimdienste 1969 in Teheran, auf der offen über absurde und ineffektive Verdächtigungen gesprochen wurde, wurde das Verbot wieder aufgehoben.

1985 versuchte eine Lübecker Firma, Wortschalen auf den Mark zu bringen, in dem sie Schalen anbot, in die jeder Mensch sein Lieblingswort einsprechen konnte und für eine sogenannte Wortgebühr konnte man sein Wort fixieren lassen. Diese Geschäftsidee jedoch verschwand unbemerkt wieder vom Markt.

Erst Mitte der neunzehnhundertneunziger Jahre machte die Berliner Künstlerin Carola Scheil wieder auf die Kunst der Wortschalen aufmerksam. Sie benutzte aber nicht mehr Porzellan, sondern hochmoderne, industriell gefertigte Halbkugeln. In die Innenflächen dieser Schalen trägt sie einen von ihr geheim gehaltenen, selbst entwickelten Lackcocktail auf, bespricht den Lack und lässt ihn anschließend unter hohen Temperaturen austrocknen.
Seither versuchen viele, diese ihre Technik nachzumachen, aber bisher gelang es niemandem.

Im Museum der Unerhörten Dinge sind Schalen mit den Worten Fischschuppensuppe, Aprikosenbaumkernsteckling, gruselgramgrau, Frischfliederfleiß, Gießkannen-geburtsprinzip und Hebammen-schürzensenkel ausgestellt.

 

Literatur:
Li Zhiyan, Cheng Wen: Keramik und Porzellan in China. Beijing, 1996.
Hans-Wolfgang Bayer: Muffelbrand und scharfes Feuer. Memmingen, 1995.
Hans-Karl Hümmer: Frühe Methoden der Tonaufzeichnung. Berlin, 1978.
Ines Gessner: Findelworte – Über das Finden von Wörtern. Gießen, 1959

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