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Schusters GerücheDer Schuster, der Bader und die Gerüche

für Hans Schohl

Ein Schuster war früher nicht nur der, der Schuhe verfertigte und reparierte, Schuhe, die den Standpunkt des Menschen ausmachen, durch die sich die Standfestigkeit eines jeden ergibt, sondern ein Schuster hatte eine wichtige beratende Funktion, denn er war der Verwalter des Wissens um die menschlichen Gerüche. Anhand des spezifischen Geruchs, der sich in den Schuhen naturgemäß konzentrierte, konnten frühere Schuster Eigenschaften, Gewohnheiten und Besonderheiten von Menschen erkennen und bestimmen. Einige Schuster waren in ihrer Geruchswahrnehmung und deren Analyse auf die körperliche Gesundheit der Probanden spezialisiert. So ging z.B. die bis heute praktizierte Fußsohlenreflexmassage aus dieser Schusterfähigkeit hervor, das erste Mal beschrieben 1738 von dem französischen Schuster, Pière Lephot.

Meist waren die Schuster aber Berater in zwischenmenschlichen Belangen, insbesondere in den Bereichen, in denen sich Menschen vertragen sollten oder müssen und daher naturgegeben besonders in Eheanbahnungen, Ehe- und Sexualfragen. Viele erhaltene Redensarten zeugen davon: „Riechst den Schuh, hast ´ne Ruh“ [fränkisch]; diese Redensart will besagen, dass man Schwierigkeiten aus dem Wege gehen kann, wenn man vorher den Schuhgeruch des Gegenüber prüft oder eben von einem Schuster prüfen lässt. Bei Heiratszögerern sagte man: „Hat der Schuster mal gerochen, ist der letzte Bann gebrochen“[alemannisch] oder „Hat’s der Schuster mal gerochen, kommt ein Jeder angekrochen“ [rheinisch], eine sehr überzeugende Meinung von des Schusters Riechkenntnissen.

Es gab Schuster die sich richtiggehend Geruchssammlungen zulegten. Von einem Schuster, de Wiedemann aus Landstuhl/Pfalz, wird berichtet, dass er eine Sammlung von 438 Gerüchen besaß. Er nahm diese Gerüche den Schuhen ab, indem er leicht ölhaltige Lappen zwei Tage lang in einen Schuh legte. Das Öl nahm den Geruch auf und der mit Öl behandelte Lappen roch dann danach. Mit der gleichen Methode wird im südfranzösischen Grasse, der Hauptstadt des Parfüms, den Naturprodukten wie Vanille, Rosen etc. die ihnen innewohnenden wohlriechenden Düfte entnommen. Danach wurden die Lappen von den Schustern in luftdichte Gefäße eingeschlossen und nur zum Vergleich oder zu Studien heraus genommen. Von Schustern hatte man also eine sehr hohe Meinung und eine durch und durch positive Haltung zu ihnen.

Während des Übergans zum Barock kamen immer mehr die Bader in Mode, die sich nicht mehr mit den natürlichen Gerüchen beschäftigten, sondern neue, fremde, verfeinerte Gerüche den Menschen anboten, Gerüche, hinter denen sich die Menschen auch verbergen konnten, Gerüche auch der Täuschungen. Die Bader empfanden sich als die Konkurrenz der Schuster, fühlten sich den Schustern aber überlegen, da die Schuster nur riechen würden, sie aber den Geruch selbst erzeugten.

Es kam zu einem unerklärten Krieg zwischen den Badern und den Schustern. Die Schuster ließen verbreiten, dass die Bader mit ihren Gerüchen die Menschen vernebelten, dass sie nur ein Gerücht in die Welt setzten, das ihren „GerüchteKüchen“ entstammte, dass die Bader „in diesem Geruch stünden“. Die Bader wiederum verbreiteten, dass die Schuster nur etwas „zusammen schustern“, alles was sie machten, wären „Schustereien“, die zum „Himmel stänken“, und schrieen ihnen entgegen: „...bleibt bei euren Leisten“. Die Redensart „Bist beim Bader in der Not, bringt´s der Schuster schon ins Lot“ zeigt die Haltung der Menschen in dieser Umbruchstimmung. Es ist ein Verweis darauf, dass bei Verunsicherung und Gefahr auf den Schuster zurückgegriffen wird, den Badern traute man noch nicht ganz. Die Verdrängung des Schusters ließ sich aber nicht aufhalten.

Die Bader drängten sich immer mehr in den Vordergrund. Sie machten Aderlässe, wurden Steinschneider und später die modernen Ärzte. Die ursprüngliche soziale Beratungsfunktion des Schusters übernahmen sie jedoch nicht. Diese blieb eine offene Stelle bis zu der Zeit, in der die moderne Psychologen auftraten.

Mit der Verdrängung des Schusters wurde auch der Schuh als solcher verdrängt. Als Resultat dieser Verdrängung lesen wir in den Romanen des Barocks das erste Mal vom Schuh als erotischen Fetisch und sehen diesen auf zahllosen erotischen Abbildungen dieser Zeit, was heute sehr verbreitet ist.

Heutzutage ist der Schuster eine Randerscheinung, man wirft kaputte Schuhe weg und wechselt den Schuh bei der nächsten Modewelle. Wenn mal etwas mit der Sohle nicht stimmen sollte, geht man in die Absatz-Bar. Und feste Standpunkte sind auch Mangelware geworden.

Nur manchmal findet man ihn noch, den Schuhmacher, den Schuster, und wenn man dann so ein Lokal betritt, riecht es dort nach Leder, metalligen Nägeln und Eiselchen, nach Fett und auch nach dem würzigen Menschenschuhgeruch. Wenn man dann noch Glück hat und viel Einfühlungsgefühl, gibt sich ein Schuster auch noch als Eingeweihter des Geruchs zu verstehen, denn, so wird gemunkelt, als Geheimwissen wird das Wissen um den Geruch bei Schustern von Generation zu Generation weiter gegeben.