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Gebrüder GrimmDie Erfinder der Buchstabensuppe
oder
wie die Gebrüder Grimm Köche wurden


Das ging zu weit. Ein allgemeines Gemurmel durchzog den Raum, aus einem Hüsteln wurde ein Husten und einige der deutschen Sprachgelehrten verließen den Konferenzsaal. Viele fragten ihren Nachbarn flüsternd: „Wer hat denn den wieder eingeladen, das kann doch nicht gut gehen“. Die Delegationen aus England und Slowenien bestanden auf ihrem Recht, ihren Redner selbst zu bestimmen und luden Adam Algrim als ihren Hauptredner ein. Die internationale Tagung der germanistischen Linguistik, die alle 4 Jahre eine andere deutsche Universität ausrichtete, tagte dieses Jahr in Marburg. Wie immer las sich die Liste der Versammelten wie das „Who is Who“ der Germanistik. Bei der deutschen Delegation sorgte die Einladung von Adam Algrim im Vorfeld für Missstimmung. Adam Algrim war bei den deutschen Germanisten nicht beliebt, er galt mit seinen Theorien als Nestbeschmutzer, Nörgler und Quertreiber. Im Gegensatz hierzu hielt man ihn auf internationaler Ebene für einen originellen, klugen und genauen Wissenschaftler, von dem immer neue unkonventionelle Positionen zu erwarten waren. Seine auf Adolf Josef Storfer, „Wörter und ihre Schicksale“ und „Im Dickicht der Sprache“ basierende Schrift, „die Wörter auf der Couch“ fand international viel Beachtung, wurde aber von den Deutschen als „unwissenschaftlich“, „zu spekulativ“, „zu sehr Lyrik“, abgetan.

Und nun hielt dieser Adam Algrim ausgerechnet einen Vortrag über die Gründungsväter der deutschen Sprachwissenschaft Jakob und Wilhelm Grimm. Der angekündigte Titel seines Vortrages „Vom Essen und Reden“ hörte sich schon haarsträubend an.

Adam Algrim kam schnell auf den Punkt, nach 5 Minuten war der Skandal perfekt. Er bezeichnete die Gebrüder Grimm als die Erfinder der Buchstabensuppe und als Verfasser eines Buchstabensuppenkochbuches. Maßgeblich hätte ihnen die Buchstabensuppe geholfen, die Gesetzmäßigkeiten des Lautwandels von Vokalen und Konsonanten zu verstehen und so die Erforschung des Ursprungs von Wörtern und deren Bestandteilen zu betreiben. Aus einer Buchstabensuppe sei, sozusagen, die moderne Etymologie, entstiegen.

Adam Algrim berief sich bei seinem Vortrag auf ein 2003 im brandenburgischen Müncheberg gefundenes, eng beschriebenes Heftchen, in dem die Grimms als die Erfinder der Buchstabensuppe beschrieben werden. Als Verfasser des Heftes wird ein gewisser Arnold Liebreich aus Berlin genannt, ein Nachbar der Gebrüder Grimm. Arnold Liebreich wohnte in der Link Straße 8, die Gebrüder Grimm ab 1847 bis zu ihrem Tode in der Link Straße 7. Arnold Liebreich beschreibt in dem einem Tagebuch ähnlichen Heft viele Begegnungen mit den Grimms, und wie sie sich rührend nach seinen fünf Kindern erkundigten, ihnen immer wieder neuentdeckte Märchen vorlasen und kleine Nudeln in buchstabenform mitbrachten und sie ermahnten, viel davon zu essen. Damit sie die Sprache besser verstehen könnten, sollten sie sich frühzeitig Buchstaben einverleiben.
Liebreich berichtet, dass er öfter von den Grimms zu wissenschaftlichen Sitzungen eingeladen wurde, wie er da eine Suppe mit Buchstaben essen musste und mit vollem Mund Wörter nach sprechen sollte. In der Suppe hätten sich Buchstaben von bestimmten Wörtern befunden und diese Wörter sollte er mit vollem, mit halbvollem und dann mit leerem Mund aussprechen. Die Grimms hätten sich die Lautverschiebungen, die dabei zu hören waren, aufgeschrieben und sie genauestens untersucht. Die Grimms berichteten ihm, dass sie mit dieser Methode der Herkunft von Worten immer näher kamen. Dass das Aussprechen der Worte mit den im Mund befindlichen Buchstaben der Erforschung der Exaktheit der Herkunft der Worte sehr dienlich sei. Die auf der Zunge liegenden Buchstaben der Wörter würden erheblich zur Bestimmung ihrer Abstammung beitragen. Er erwähnt auch, dass sich die Grimms über die Redewendung „Mit vollem Mund spricht man nicht“ lustig machen. Sie kommentierten die Redensart so, dass sich darin die Angst zeigen würde, welche man vor der Erinnerung der Wortinhalte hätte, es sei die gleiche Furcht, wie die vor dem sich zu sich zu versprechen.

Adam Algrim berichtete bei seinem Vortrag über die Köchin der Grimms, über Martha Blaseitz, die eng mit einem Feinschmied namens Gotthelf Protschka zusammenarbeitete. Gotthelf Protschka fertigte die kleinen Ausstechformen für die Buchstabennudeln. Martha Blaseitz sagte ihm, was er noch alles zu verbessern hatte, damit die Formen küchentauglich seien.

Martha Blaseitz soll sich einmal bei dem Verfasser des Heftes, Arnold Liebreich, beklagt haben, dass die Grimms mit ihren Suppenexperimenten einen großen Verschleiß an Tischleinen hätten, dass sie ständig die aus ihrem Mund fallenden und auf den Tüchern kleben gebliebenen Buchstabennudeln mit der Hand extra entfernen müsse, bevor die Wäscherin sie waschen könnten.

Der Höhepunkt des Vortrages von Adam Algrim war, dass er ein Kochbuch für Buchstabensuppenrezepte aus dem Jahre 1854 präsentierte, das der Martha Blaseitz gewidmet ist. Sie wird dort als für die Forschung unerlässliche Person bezeichnet und dann werden 67 Rezepte beschreiben.

Dieses Kochbuch wurde im Zentralarchiv der deutschen Kochliteratur in Darmstadt entdeckt und trägt keinen Verfasser. An Hand vieler Details und im Vergleich mit den Aufzeichnungen des Herrn Arnold Liebreich, wie auch durch den Schreibstil lässt sich das Buch eindeutig den Gebrüdern Grimm zuschreiben.
Danach legte Adam Algrim fünf unabhängige Gutachten von bedeutenden Sachverständigen vor, die die Echtheit bescheinigten.

Zum Schluss las er aus dem den Grimms zugeschriebenen Kochbuch; „Der Lieben Marthas Suppen Kochbuch zur Einverleibung von Buchstaben, Wörtern, Sätzen und ganzer Märchen“ das Rezept: „Zubereitung einer klaren Brühe mit Fleisch zum Zwecke der Erforschung der Worte“ vor.

„Da die mit Fleischbrühe bereiteten Suppen und Saucen die besten, gesündesten und nahrhaftesten, sowie auch demgemäß die wichtigsten für die Kochkunst sind, werden wir uns hier ausschließlich mit diesen beschäftigen und vor allen Dingen zeigen, auf welche Art man nach den Regeln und Grundsätzen der Wissenschaft eine gute, kräftige Fleischbrühe herstellt, um darin Buchstaben sichtlich und klar schwimmen zu lassen, um sie zum Zwecke der Sprachforschung schmackhaft auf die Zunge zu nehmen.

Die beste Brühe liefert das Rindfleisch, welches daher auch in größerer Quantität dazu benutzt werden muß als andere Fleischarten, weil es am meisten Nährstoff oder Osmazom enthält, das neben Fibrin oder Faserstoff, Gelatine oder Gallertstoff, Fett und Eiweiß der wichtigste unter den Bestandteilen des Fleisches ist.

Man nimmt also möglichst frisches, nicht zu fettes Rindfleisch (auf je 1 Liter Wasser ½ Kilogramm Fleisch), etwa die Hälfte soviel derbes Kalbfleisch, einige zerhackte Kalbsbeinknochen und Rindsmarkknochen, wäscht das Fleisch jedoch nicht, sondern wischt es nur mit einem sauberen Tuch ab, setzt es mit kaltem Wasser über gelindes Feuer und bringt das Wasser sehr langsam zum Kochen, wodurch zuerst der im Fleisch enthaltene Eiweißstoff ausgelöst wird und geronnen an die Oberfläche steigt, wo man ihn in Gestalt von Schaum erblickt, den man sofort sorgfältig mit dem Schaumlöffel abschöpfen muß, weil man sonst keine klare Brühe erhalten würde, diese aber zur Erforschung der Worte auf der Zunge unerlässlich ist.

Erst nach dem Abschäumen fügt man Salz und Wurzelwerk hinzu, aber weder Zwiebeln noch Gewürz, um der Brühe keinen starken Beigeschmack zu geben.

Um eine recht kräftige Brühe zu gewinnen, muß das Fleisch 6 - 7 Stunden gut zugedeckt ganz leise fortkochen, ohne zu sieden, damit nach und nach alle Nährstoffe herausgezogen werden und nichts als die zähen, lederartigen, saftlosen Fasern neben den Knochen zurückbleibt; hierauf schöpft man das Fett behutsam ganz und gar davon ab, seiht die Brühe durch ein Tuch und verwendet sie zu Suppen, indem man Buchstabennudeln hinzufügt und beachtet darauf, wie nun die Worte, die nun auf der Zunge herumliegen, ausgesprochen werden.“

Literatur:
Adolf Josef Storfer: „Wörter und ihre Schicksale“ und „Im Dickicht der Sprache“, Berlin 2003
Adam Algrim : „die Wörter auf der Couch“, London 2000
Unbekannt: „Supp`, Gemüs` und Fleisch. Ein Kochbuch für die bürgerliche Küche“, Darmstadt, 1876