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Goethe-RoseDie Goethe-Rose

 

Kennst du das Land, wo die Zitronen blühn,
Im dunklen Laub die Gold-Orangen glühn,
Ein sanfter Wind vom blauen Himmel weht,
Die Myrte still und hoch der Lorbeer steht,
Kennst du es wohl?
Dahin! Dahin
Möcht ich mit dir, o mein Geliebter, ziehn
!“

Solch verträumtes Gedicht schrieb 1780 in „Wilhelm Meisters Lehrjahren“ Johann Wolfgang Goethe vor seiner ersten Italien-Reise. In dieses Land wollte er schon seit seiner Kindheit. Das Land seiner Sehnsucht. Catharina Elisabeth Goethe, seine Mutter, schrieb ihm nach Rom: „Lieber Sohn ... Jubeliren hätte ich vor Freude mögen daß der Wunsch, der von frühester Jugend in deiner Seele lag, nun in Erfüllung gegangen ist....“

Am 3. September 1786 war es nämlich soweit. Mit einem falschen Namen ausgestattet, dem Pseudonym Johann Philipp Möller, Kaufmann aus Leipzig, verdrückte sich Goethe heimlich, zu gottschlafender Zeit, aus der Bäderstadt Karlsbad. „Früh drei Uhr stahl ich mich aus Karlsbad, weil man mich sonst nicht fortgelassen hätte.“ Der falsche Name sollte ihn vor dem allzu schnellen Zugriff seines Herzogs, Carl August, schützen, aber auch vor Neugierigen, denn er ward mit seinem „Werther“ in ganz Europa ein berühmter Mann. Unter falschem Namen aufzutreten gab ihm zusätzlich ein Gefühl der Freiheit. Goethe fühlte sich in dieser Zeit schon lange recht unwohl in seiner Haut. Nichts wollte sich entwickeln, nichts sollte richtig werden. Die Arbeit für seinen Herzog Carl August war ihm nach 10 Jahren fad geworden, die Beziehung zu Charlotte von Stein entwickelte sich überhaupt nicht, es wurde nur komplizierter, er fühlte sich von ihr „kontrolliert“, in seiner „Art getadelt“. Alles um ihn herum empfand er als zäh, unfrisch, dunkel und versteinert, sich selbst als fixiert, festgezurrt und eng.

Er fühlte sich wie die versteinerten Rosen aus Karlsbad, die es damals, wie heute immer noch, in diesem mondänen Kurort zu kaufen gab. Papier-Rosen, an denen sich, nachdem sie zwei Wochen im heißen Karlsbader Mineralwasser gelegen waren, Sprudelstein ablagerte und den Rosen ein versteinertes Aussehen verlieh.. „...in jenen Karlsbader Rosen, die ich viel sah, erkannte ich mich selbst...“.

Johann Wolfgang Goethe nahm als Johann Philipp Möller eine dieser versteinerten Rosen in seinem Reisegepäck mit, sie sollte ihn fortan auf seiner Reise daran erinnern, wie ehern er sich in Deutschland fühlte.

Kaum hatte er den Alpen-Hauptkamm am Brenner überquert: „..Licht, Licht, das Licht scheint mir hier freier und heller ....“.
In Padua, begeistert vom Botanischen Garten, in ihm suchte er die Urpflanze, bekam er vom dortigen Gärtner zwei der Urpflanze verwandte Blätter. Er bewahrte diese bis zu seinem Tode als großen Schatz. Er reiste weiter und schaute kein einziges Mal die versteinerte Rose an. Goethe fühlte sich frei, voller Neugierde und Wissensdrang, durchdrungen von Freude und Offenheit, seine Versteinerung war gelöst, was sollte er da noch mit der versteinerten Rose, er vergaß sie.
Erst in Palermo, wo er begeistert in sein Tagebuch notierte: „In dem öffentlichen Garten unmittelbar an der Reede brachte ich im stillen die vergnügtesten Stunden zu. Es ist der wunderbarste Ort von der Welt. Regelmäßig angelegt, scheint er uns doch feenhaft...“, fühlte er sich seiner Urpflanze ganz nahe. Er erinnerte sich verwundert an seine versteinerte Rose aus Karlsbad und konnte sich nicht mehr vorstellen, sich je so starr und für die Ewigkeit konserviert gefühlt zu haben. Er schenkte seine versteinerte Rose einem Gärtner, dabei heimlich auf ein Gegengeschenk hoffend, auf einen Tipp zur Auffindung der Urpflanze. Er bekam den erhofften Hinweis nicht, erkannte auch bald, dass das, was er suchte, diese Urpflanze, als Prinzip zu verstehen sei und nicht als konkrete Pflanze.

Nach der Heimkehr aus Italien beendete er die Beziehung zu Charlotte von Stein und begegnete einer Arbeiterin aus einer Manufaktur für künstliche Blumen, Christiane Vulpius. Nach dem ersten Treffen mit seiner späteren, geliebten Frau, dachte er an die zurückgelassene versteinerte Rose in Palermo und freute sich kindisch, dass sie, die Rose, nun hier, bei dieser Arbeiterin, lebendig werden konnte, lebendig geworden war.

Seine versteinerte Rose aus Karlsbad ist in Palermo bis heute in der Sammlung des Botanischen Gartens aufbewahrt und zu besichtigen. Dort wird sie „La Rosa petriticata del signor Goethe“ (Die Versteinerte Rose des Herrn Goethe) beziehungsweise kurz „Rosa del Goethe“ (Goethe-Rose) genannt.


Literatur:
Jentsch, Ilse: Botanische Versteinerungen in Italien und Spanien, Leverkusen 2002
Gersdorff von, Dagmar: Goethes Mutter; Frankfurt a.M. 2001
Goethe, J. W.v.: Wilhelm Meisters Lehrjahre, Gutenbergprojekt, Internet 1998
Goethe, J. W. v.: Italien Reise, Gutenbergprojekt, Internet 1998
Goethe, J. W. v.: Briefe, Stuttgart 1928
Huber, Wolfgang: Eine Rose wandert, München 1934