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Vom Bicepstrainer der ersten Telefonistinnen
und wie das Telefon sein Gewicht verlor,
bis es schier untragbar wurde

 

Ein Jahr, nach dem in Amerika das Patent auf ein Telefon angemeldet worden war, produzierte die Berliner Firma Siemens & Halske bereits im November 1877 täglich 200 Telefone.

Schnell ausgebildete Telefonistinnen verstöpselten in Telefonzentralen von Hand die Teilnehmer miteinander. Das Fräulein vom Amt ward geboren. Anfangs wurde von den Entwicklungstechnikern bezweifelt, ob Frauen mit der Technik adäquat umgehen konnten. Da aber Frauenstimmen mit ihrer höheren Stimmfrequenz bedeutend besser und verständlicher übertragen werden konnten, wurden sie unabkömmlich.

Die Telefonie musste von den Teilnehmern zuerst erlernt werden, denn die Abstraktion der Gegenwart einer Person nur durch die Stimme war man noch nicht gewohnt. Am Anfang eines Gespräches sagte man üblicherweise „Hallo, hallo“, dabei wurde dann die Übertragungslautstärke getestet und man behielt die günstigste Lautstärke der Stimme in dem nachfolgenden Gespräch bei. Von einer „langen Leitung“ oder „auf der Leitung stehen“ sprach man, wenn die Übertragung besonders gestört war.

Das Telefon revolutionierte das Geschäftsleben, konnte man doch plötzlich mit Geschäftspartnern sprechen, ohne körperlich anwesend zu sein. Es konnten Verhandlungen an verschiedenen Orten geführt werden, ohne das Zimmer zu verlassen. Ein Geschäftsmann konnte schnell und direkt reagieren.

In größeren Betrieben wurden kleine Vermittlungsstellen eingerichtet, an denen freundliche Fräuleins saßen, die ein- wie ausgehende Anrufe verkabelten. Neben der Tätigkeit, eine der neu eingeführten Schreibmaschinen zu bedienen, vermittelten sie nun auch die Gespräche.

Das ständige Aufheben und Ablegen der damals noch schweren Hörer strengte manche der Damen so an, dass im neugegründeten „Verband für tüchtige Damen im Buero-Betrieb“ Klagen über abendlichen Muskelkater und Ermüdungserscheinungen an den Oberarmen auftreten.

Eine der ersten Schulen für Sekretärinnen, „Gerda Kaisers Schule für die Vorbereitung gepflegter junger Damen auf ein Berufsleben, geg. 1892“, die bereits seit ihrer Gründung freiwillige Schreib­-maschinen- und Telefonkonversationskurse anbot, führte ab Frühjahr 1905 obligatorisch Intensivkurse für die Telefonie ein.

Die jungen Damen wurden nun in die Technik der Geräte eingeweiht, in die verschiedenen Modelle und deren Eigenarten und Macken und wie man sich dabei selbst helfen konnte. In diesen Kursen wurden die Fräuleins auch in den anatomischen Aufbau der Hand (für die Schreibmaschine) und des Oberarmes (für den Telefonhörer) eingewiesen. Aus Arbeitsschutzgründen wurden ihnen Fingerübungen beigebracht und sie angeregt, den Telefonbicepstrainer regelmäßig zu benutzen.

Spezielle, für fernsprechende Sekretärinnen entwickelte Gewichte in Telefonhörerform, eben diese Telefonbicepstrainer, wurden angepriesen. Sie sollten täglich eine viertel Stunde nach der beiliegenden Anweisung benutzt werden.

Die Firma Henke & Maurer, die diese speziellen Telefonbicepshanteln herstellte, warb mit einem Zertifikat der „Vereinigten Turnvereine des Vaters Jahn“.
Die Firma Henke & Maurer führte diese Telefonbicepshanteln bis Ende der 1950er Jahre in ihrem Programm. Später stellte sie nur noch Sportgeräte her und seit 20 Jahren ist sie unter anderem Namen einer der führenden Sportstudio-Ausstatter.

Mit der Zeit wurden die Telefonhörer immer leichter. Durch die Verbreitung der Telefonie im privaten Bereich ab den 1960er Jahren wandelte sich das Kommunikationsverhalten vieler Menschen. Das stundenlange Telefonieren, „Ruf doch mal an“, machte die Abwesenheit der Person manchmal wichtiger, als ihr persönlich und leibhaftig zu begegnen.

Später emanzipierten sich die Telefonhörer vom Kabel und wurden schnurlos. Dann wurde das Mobiltelefon eingeführt und der mündliche Fernkontakt ward überall und ständig möglich.

Die Hand, die früher zum Telefonieren unabdingbar war, hat sich inzwischen erübrigt. Heute steckt in vielen Ohren nur noch ein Knopf, ein kleines Gerät in der Tasche überträgt die sehnlichst erwarteten Anrufe über Bluetooth direkt in das Ohr. Die typische Telefonhaltung, der leicht zur Seite geneigte Kopf, die Zuneigung dem Gesprächspartner gegenüber, hat sich überholt und ist nicht mehr vonnöten. Gespräche finden in aufrechter, unauffälliger Kopfhaltung statt.

 

Literatur:
Morchel, T.: Von der Kurbel zum Bluetooth. Berlin, 2008.
Kümmerle, R.: Sekretärinnen im Spiegel der Zeiten. Berlin, 1978.
Hortmann, H.: Arbeitsschutzmaßnamen früher und heute. Stuttgart, 2002.